Wenn die Wahrheit nicht ruht
aber das kam Leonie nur entgegen, trug es doch seinen Teil dazu bei, nicht erwischt zu werden. Abgesehen davon reichte der Schein der kleine n Lampe aus, um sich umzusehen.
Sie befand sich in einer Art Arbeitszimmer, das gleichzeitig auch als Bibliothek zu fungieren schien. Denn vor ihr s tand ein ausladender Schreibtisch , der aus einem dunklen schweren Holz gefertigt war . Die Wände um das Fenster und die Türöffnung herum waren mit Bücherregalen zu gestellt . I n der Ecke, schräg gegenüber dem Schreibtisch , befand sich ein gemütlich wirkender Sessel. Und ungefähr in der Mitte zwischen Sessel und Tisch erblickte sie ein filigran gearbeitetes Beistelltischchen. Eigentlich nichts U ngewöhnliches, hätte das Tischchen gestanden . Aber dieses hier lag im Raum.
Sicher, dass sie den Tatort gefunden hatte, ging sie vorsichtig auf das Möbelstück zu. Vergessen war die Tatsache, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Um auf ihrem Weg ja nichts zu übersehen, leuchtete sie immerzu den Boden vor sich ab.
Beim Tischchen angekommen ging sie in die Hocke und begutachtete erst den Rand des Möbels, dann den Spannteppich daneben. Der Lichtkegel huschte hin und her, bis er plötzlich stockte. Was war das?
Sie liess das Licht zurückwandern und tatsächlich, dort , wo es nun ruhte, wies der Teppich eine dunkle Stelle auf. Den Atem vor Aufregung angehalten, richtete sie sich auf und näherte sich behutsam . Dann sah sie deutlich, dass es sich bei dieser Verdunkelung des Bodens um einen Fleck handelte. Nach und nach wandelte sich das Dunkelrot in S chwarz, während sich das Blut von Hans Zumbrunn immer weiter in die Teppichfasern einfrass.
Leonie wandte den Blick von der Lache ab und versuchte zu rekonstruier en, was vorgefallen war. Es hiess, er hatte sich bei einem Sturz am Kopf verletzt. Sich das vorzustellen, war nicht weiter schwer. Dort, wo sich die Blutlache befand, musste sein Kopf gelegen haben. Daneben lag das Beistelltischchen auf der Erde. Entsprechend hatte er wohl vor dem Bücherregal gestanden, war zusammengeklappt, hat te mit dem Kopf das Tischchen erwischt, das Tischchen kippte um und er blieb reglos daneben liegen. Klang plausibel.
Nun die selbe Szene in der Variante, die Leonie von unten gehört hat te . Jemand hat te ihm eine verpasst, Hans hielt sich im Sturz am Tischchen fest und kippte mit ihm um. Oder dieser Jemand hat te das Tischchen nachträglich auf den Boden geworfen, um den Eindruck zu erwecken, es wäre ein tragisches Unglück gewesen.
Wie dem auch sei, nichts wies darauf hin, dass ein e weitere Person da gewesen war. Nichts, was die Rückschlüsse auf ein Verbrechen zuliess . Aber was hatte sie denn erwartet? Ein Schild, auf dem stand „Ja , Leonie, du hast r echt, jemand hat ihn gewaltsam aus dem Leben gerissen“? Kaum.
Ahnungslos, was sie mit dem Gesehenen anfangen sollte, zog Leonie ihr Handy hervor und stellte die Kamerafunktion ein. Obwohl sie nicht wusste, zu welchem Zweck, begann sie ohne Blitz , nur im Schein der Taschenlampe , den Ort fotografisch festzuhalten. Systematisch bewegte sie sich von dort, wo das Blut war , rückwärts am kleinen Beistelltisch vorbei auf den grossen S chreibtisch zu.
Vollkommen vertieft in ihre Arbeit hörte sie das leise Rascheln aus dem Flur nicht. Sie bemerkte auch den dunklen Schatten nicht , der an der Türöffnung vorbeihuschte und dann direkt daneben zur Ruhe kam.
Am Kopfende des Schreibtischs angekommen richtete sich Leonie aus ihrer gebeugten Haltung auf und streckte den Rücken durch. Dann liess sie den Blick über den wuchtigen Schreibtisch schweifen. Doch alles schien normal zu sein. Es gab einen unordentlichen Stapel Papier, einige Dokumente lagen auf einer Schreibunterlage, daneben ein offenes Buch. Direkt vor ihr stand eine vergoldete Leselampe. Daneben ein Briefhalter mit einem einzigen , b lütenweissen Umschlag drin. Der Fuss war aus Marmor, die Halterungen war en passend zur Lampe vergoldet.
Leonie liess ihren Blick weiter wandern , bis zum nächsten unscheinbaren Fleckchen auf dem Schreibtisch. Abrupt hielt Leonie inne. Eigentlich schien nicht s ungewöhnlich zu s ein, dennoch wurde sie stutzig.
Ohne die Stelle aus den Augen zu lassen, griff sie wieder nach ihrem Telefon. Doch sie führte die Bewegung nicht zu Ende. Wie aus dem Nichts beschlich sie ein unheimliches Gefühl , das sich in Sekundenschnelle in schreckliche Gewissheit verwandelte. Sie war nicht mehr allein in dem dunklen Raum.
Die Gestalt baute sich im
Weitere Kostenlose Bücher