Wenn die Wahrheit nicht ruht
in ihrer Skijacke mit sich trug. Entsprechend wusste sie jetzt auch nicht, wo sie die Tasche zuletzt hingelegt hatte.
Zuerst suchte sie auf Augenhöhe alles ab, um sich nicht mehr als nötig bewegen zu müssen. Wie befürchtet , wurde sie auf diese Weise nicht fündig. In Gedanken versuchte sie dann nachzuvollziehen, wo eine Handtasche landete, wenn kein Stuhl in der Nähe war. Leonie streifte sie in der Regel von der Schulter und liess sie auf ihrem Weg in den Raum einfach auf den Boden plumpsen. Na toll. Ächzend ging sie auf die Knie und suchte den Raum auf allen Vieren nochmals ab. Sie spähte unter jedes der wenigen Möbelst ücke, bis sie dort ankam, wo der Tag angefangen hatte. Beim Bett. Eine Hand auf die Matratze gestützt, beugte sie den Kopf , soweit es der pochende Schmerz zuliess, nach unten und sc hob mit der anderen Hand das La ken beiseite. Und tatsächlich, der schwarze lederne Beutel lag ungefähr in der Mitte des grossen Doppelbetts. Leonie wunderte sich , wie die Tasche soweit unter das Bett gelangen k onnte und verdrehte genervt die Augen. Sie liess das Laken los und streckte ihren Arm soweit sie konnte unter das Bett. Blind tastete sie nach ihrer Tasche. Es dauerte nich t lange, bis sie etwas zwischen d i e Fin ger bekam. Es war lang und dünn. V ermutlich der Träger. Also zog sie daran und beförderte die ersehnte Tasche ans Licht.
Nach wie vor kniend begann sie darin herumzuwühlen . Zuerst bekam sie ihre Armbanduhr in die Finger. Bevor sie sie ungeduldig wieder zurück in die Tasche schob, fiel ihr Blick darauf, woraufhin sie leise aufstöhnte. Die Uhr verriet ihr, dass es bereits später Nachmittag war. Sie hatte den ganzen Tag verschlafen. Ändern liess sich dieser Umstand nun nic ht mehr, also wühlte sie weiter, in der Hoffnung bald das Objekt der Begierde zu finden. Sie zog ihr grosses Portemonnaie hervor, begierig darauf, an den Inhalt im Münzfach zu kommen. Ihren Not- respektive Reisevorrat sozusagen. Erleichtert drückte sie die weisse runde Tablette aus der Verpackung und spülte sie mit einem grossen Schluck Wasser hinunter. Dann liess sie das Portemonnaie wieder in die Tasche fallen. Diese schob sie dann aber nicht zurück unter das Bett. Sie wollte sie in der Garderobe neben der Tür deponieren. Als sie sie hochhob und aufstehen wollte, fiel ihr Blick auf etwas, das sie offensichtlich mit der Handtasche unter dem Bett hervorgezogen hatte. Es war ein zusammengefaltetes , weisses Stück Papier.
Erstaunt griff sie danach und faltete es auseinander. Als sie die Nachricht darauf erkannte, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Fassungslos liess sie sich wieder zurücksinken un d starrte die Buchstaben auf dem Blatt Papier an. Dann, als hätte sie in eine Steckdose gefasst, sprang sie in die Höhe und hastete in das Badezimmer. Der Schmerz war genauso vergessen wie die Tasche.
Timo wusste nicht recht, was er von Sebastians Auftrag halten sollte. Er hatte zwar zugesichert, ihn auszuführen, aber er sah weder ein, weshalb , noch warum Sebastian diese Sache wichtig war. Nach dem Telefonat hatte Timo bei Angela zu erfahren versucht , was in Sebastian gefahren sei, Angela hatte aber nur ausweichend abgewinkt und das Thema darauf gelenkt, wie gut der neue Kaffee war.
Daraufhin nahm er einen neuen Anlauf und fragte, ob am Vorabend etwas Besonderes vorgefallen sei, woraufhin Angela auf einmal das unbändige Bedürfnis nach einer erfrischenden Dusche verspürte und die Küche mitsamt Kaffeetasse fluchtartig verliess. Dann bekam er sie nicht mehr zu sehen, weil sie ihren täglichen Verpflichtungen nachzukommen hatte.
Möglicherweise war Angelas Reaktion auch der Grund gewesen, weshalb er Sebastians Aufgabe zu erfüllen gedachte, egal , wie absurd sie sein mochte . Denn auf diese Weise fand Timo vielleicht ein paar Antworten auf die Fragen, die ihm weder Sebastian noch Angela beantworten wollten , und auch auf deren seltsames Verhalten. Entsprechend tauchte Timo zwar spät am Tag, aber dennoch bereits zwei Stunden vor Dienstbeginn im Krankenhaus auf. Die Bergwipfel hatten die Sonne bereits verschluckt und das hell erleuchtete Tal in eine schattige Ebene verwandelt, als Timo durch die elektrische Schiebetür trat. Sein frühzeitiges Erscheinen sorgte für einige erstaunte Gesichter, zum Beispiel das von Schwester Noë lia.
„T imo? Schon so früh hier? Ist zuh ause alles in Ordnung?“ Timo meinte , so etwas wie Hoffnung in No ë lias Augen aufblitzen zu sehen. Es war kein Geheimnis,
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