Wenn die Wahrheit nicht ruht
Hände ab und trat aus dem Stall. Er marschierte direkt auf den Brunnen hinter dem Haupthaus zu, wo er sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Während er sich mit dem erfrischenden Nass durch das braune , dichte Haar fuhr, fiel sein Blick auf seinen Jungen . Er sass auf einem Teil eines Baumstammes und ahmte die Geräusche eines Traktors nach.
Erst musste Heinz noch schmunzeln ob der Kreativität seines Sohnes, doch dann wurde ihm das Herz schwer. So gerne hätte er ihm einen richtigen Spielzeugtraktor geschenkt. Zwar hatte Heinz ihm einen aus Holz geschnitzt und auch Räder daran montiert. Aber er wusste, dass sein Sohn ein G ekaufter unheimlich freuen würde. Einfach, weil es mal etwas Gekauftes war. Und dann fasste Heinz einen Entschluss. „Helen?“ Seine Frau kam gerade aus dem Hühnerstall. „Ja?“
„Ich gehe ins Dorf. Ich habe noch etwas zu erledigen. Bin bald wieder zurück.“ Damit zog er los. Seiner verdutzten Ehefrau hauchte er einen Kuss auf die Wange und seinem Sohn wuschelte er beim Vorbeigehen durch den dunkelblonden Haarschopf.
„Hans? Hast du kurz Zeit? Ich brauche deine Hilfe.“ Heinz stiess die Tür des Wirtshauses auf, sah sich um und als er fand, was er suchte, legte er ohne Umschweife los. Hans sass wie immer am Stammtisch. Nur , wer bei ihm sass, passte Heinz nicht. Denn die beiden trug en die Schuld an seiner Mise re. Dennoch nickte er ihnen anstandsh alber zur Begrüssung zu. „Josef . So früh schon hier? Zählst du mein Geld?“
„Nein , mein Guter, mein Geld. Da wir s chon dabei sind, du bist im Verzug. Oder bist du hier, um mir die Miete zu geben?“
„Du weisst, dass ich das nicht kann. Und du , grins ’ nicht so hämisch.“ Heinz zeigte auf Moritz. „Dank deinen kleinen Tricks kam es überhaupt so weit, dass er die Pacht derart erhöhen konnte.“
„Mein lieber Heinz, meine Tricks, wie du sie zu nennen pflegst, sind alle ganz legal.“ Ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich auf Moritz‘ Gesicht aus.
„Eines Tages wird dich der Teufel holen, so , wie du mit den Menschen hier umgehst. Aber es wird euch freuen zu hören, dass ihr gewonnen habt. Alle drei.“ Heinz‘ Blick wanderte zu Hans. „Ihr wolltet uns von euch abhängig machen, indem ihr uns das Geld aus der Tasche zieht und das habt ihr geschafft. Eure kleine Marionettenarmee hat ein neues Mitglied. Ich brauche Geld. Der Hof gehört euch sowieso schon fast, der wirft also nichts mehr ab. Also, was muss ich tun?“
Nachdenklich musterte Hans sein Gegenüber. Dann sah er seinen Tischpartnern in die Augen, einem nach dem anderen. Heinz verstand nicht, was zwischen den Männern vor sich ging, sie schienen sich wortlos zu verständigen. Dann wandte Hans sich wieder dem Bittsteller zu. „Also gut. Ich hätte da tatsächlich eine kleine Aufgabe für dich.“
2010
Leonie konnte sich einfach keinen Reim auf die Geschichte machen. Was hatte das alles zu bedeuten? Gab es wirklich einen Zusammenhang zwischen dem, was sie gestern erfahren hatte und dem , was ihrem Vater zugestossen war? Und wenn ja, welchen? Oder handelte es sich nur um den ganz normalen Wahnsinn des Alltags, der nicht das Geringste miteinander zu tun hatte? Leonie wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Seit sie sich von den anderen dreien getrennt hatte, fühlte sie sich von der Informationsflut derart erschlagen, als hätte sie zuviel Alkohol getrunken und genau dieselben Nachwehen spürte sie nun auch in den Knochen. Sie hatte starke Kopfschmerzen, fühlte sich ausgelaugt und wenn sie sic h aufstützte, drehte sich alles, so dass sie sich sofort wieder hinlegte.
Dennoch wusste sie, dass das kein akzeptabler Zustand war. Also kroch sie aus den zerwühlten Laken und stand auf. Sogleich machte sich die nächste Eigenschaft ihres Phantomkaters bemerkbar. Weiche Knie. Tapfer zwang sie sich, auf den Beinen zu bleiben. Wankend bewegte sie sich dann vorwärts in Richtung Badezimmer. Dort hoffte sie , Rettung im Spiegelschrank zu finden . Aber die Packung Aspirin war nicht da. V age erinnerte sich Leonie, seit der letzten Tablette keine mehr nachgekauft zu haben. Ein grosser Fehler, wie sie nun bemerkte.
Irgendwo in dem funktionierenden Teil ihres Gehirns meldete sich dann aber eine eingespeicherte Information. Leonie füllte sich ein Glas mit Wasser und trottete ins Zimmer zurück . Dort sah sie sich erst einmal um. Wo zum Teufel hatte sie ihre Handtasche? In den Wintermonaten war eine Handtasche meist überflüssig, da sie alles
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