Wenn die Wahrheit nicht ruht
hier wegen Hans Zumbrunn.“
Amin verharrte einen Moment reglos. Er schien nachzudenken. Dann tauchte in den blassen Augen unter den buschigen grauen Augenbrauen ein wissendes Funkeln auf. Der hagere leicht gebeugte Mann mit dem schlohweissen Haar schlurfte zu einer der Boxen, öffnete die Tür und zog eine Bah re heraus. Mit ihr entwich eine eisig kalte Wolke.
„Was gedenkst du an dieser Leiche zu finden?“
„Wenn ich das wüsste. Hilfst du mir?“
„Sind die anderen Typen um uns herum tot?“
„Ja. Zumindest hoffe ich das.“ Timo sah sich unsicher um.
„Na siehst du. Was muss ich tun?“
„Er ist seit gestern hier. Es dürfte n also zwischenzeitlich alle Hämatome, insofern es welche gibt, sichtbar geworden sein. Suchen wir doch zuerst nach dem, was gestern noch nicht dagewesen ist.“
Sofort machten sich beide eifrig an die Arbeit. Sie suchten den ganzen Körper ab. Hinten, vorne. Nichts.
„Okay, das habe i ch mir gedacht. Jetzt das W ichtigste. Der Kopf. So wie wir ihn gestern vorgefunden haben, ist er mit dem Kopf auf einen Beistelltisch aufgeschlagen. Was sagt dein Bericht?“
„Etwas Ähnliches. Anzeichen , die einen Sturz ausgelöst haben könnten, fand ich keine. Die Kopfwunde, entstanden durch einen harten Aufprall und ist auf jeden Fall die Todesursache. Aber wie kommst du auf einen Tisch?“
Armins Tonfall liess Timo zögern. „Der Beistelltisch lag neben der Leiche und an der Kante war Blut, während Blut aus einer tiefen Kopfwunde austrat.“
„Klingt plausibel. Hatte der Tisch eine besondere Form?“
Timo dachte kurz nach. „Nein, warum?“
„Sieh ’ s dir selbst an, wenn ’ s dein Magen verkraftet.“ Armin grinste Timo herausfordernd an, bevor er sich dem Kopf der Leiche zuwandte. „Hier.“
Timos Blick folgte Armins Finger . „Siehst du das? Eine Tischkante ist meiner Meinung nach etwas Glattes und S auberes. Das , wa s hier auftraf , scheint aber das pure Gegenteil gewesen zu sein. Der Gegenstand scheint mir eher eine unregelmässige , schroffe Oberflächenbeschaffenheit gehabt zu haben.“ Armin schaute Timo erst nachdenklich, dann besorgt an. „Junge, sag nicht, dir wird nach so vielen Jahren immer noch übel?“
Timo hatte keine Vorstellung davon, wie er auf Armin wirkte , aber das war ihm auch völlige egal. Schliesslich wusste Armin nichts von Timos merkwürdigem Auftrag. Was zum Teufel lief hier eigentlich ?
1986
Heinz lauschte angespannt Hans‘ Vorschlag. Er war der Auff orderung sich zu setzen gefolgt. J etzt fragte er sich, weshalb. Mit jedem weiteren gedämpften Wort zog sich Heinz ’ Magen mehr zusammen. Sie hatten ihn auf den Stuhl in der Ecke gewiesen, wahrscheinlich, weil sie fürchteten, er würde die Flucht ergreifen, sobald er genug gehört hatte. Und sie hatten R echt. Heinz wäre am liebsten davongerannt. Ihm war übel und er wollte sich übergeben. So wirkte er offenbar auch.
„Heinz? Alles in Ordnung? Du bist weiss wie die Wand!“
Übersensibilisiert wie er in dem Augenblick war, konnte Heinz nach diesem Ausspruch nur daran denken, dass die Wände in diesem Lokal alles andere als weiss waren. Ein Teil davon ist es vielleicht mal gewesen, aber der Zigarettenrauch hatte gründlich gearbeitet und alles in ein ungesundes , schmutziges Ge lb getaucht. „Ihr habt das alles schon von langer Hand geplant, nicht wahr?“ Die Übelkeit war auf einmal einer unbändigen Wut gewichen.
„Keine Ahnung , wovon du sprichst. Vergiss nicht, du bist zu mir gekommen und hast nach Hilfe verlangt.“
„Darauf habt ihr nur gewartet.“ Das war keine Frage mehr, es war eine Feststellung. „Helen wird sich niemals damit einverstanden erklären. “
„Sie wird. Du musst es ihr nur überzeugend erklären. Sobald sie hört, dass ihr Junge auf der Strasse steht, wenn du das Angebot nicht annimmst, wird sie einlenken.“
„Ihr seid also bereit, mich meiner gesamten Existenz zu berauben?“
„Nein. Wie bieten dir eine Lösung aus deiner ausweglosen Situation.“ Hans beugte sich vertrauensvoll vor. Obwohl die Männer im selben Alter waren, hatte sein Tonfall etwas Väterliches.
„Verstehe. Wie lange noch?“
„Geh und sprich mit Helen. Josef wird dich morgen anrufen.“ Josef nickte und das Gespräch schien beendet. Ohne weitere Aufforderung erhob sich Moritz von seinem Stuhl, um Heinz den Weg frei zu machen. Dieser stand bedächtig auf , immerzu auf seine Atmung konzentriert, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Ohne sich noch einmal
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