Wenn die Wahrheit nicht ruht
Aussprache. Das Wetter draussen widerspiegelte in einem dramatischen S chneesturm die Verhältnisse im I nnern des Hauses. Der Wind zerrte an der Fassade, er rüttelte an Türen und Fenstern und rauschte bedrohlich pfeifend um die Ecken und dann, auf einmal, wurde es ganz still. Drinnen, wie auch draussen.
Helen weinte stumme Tränen über den Verrat und den Vertrauensmissbrauch. Zutiefst verletzt war sie aus der Küche gegangen, hatte ihren Ehemann sitzen gelassen. Tags darauf wollte sie mit Sack und Pack zu ihrer Mutter ins Tal. Diesen Plan hatte sie aber aufgeben müssen, denn eine Lawine hatte die Zufahrtsstrasse verschüttet. Damals hatte Heinz Petrus bereits gedankt, heute, während er an diese Zeit zurückdachte, dankte er ihm erneut. Denn zusammen eingeschlossen zu sein zwang beide, sich mit der Angelegenheit auseinanderzusetzen . Am Ende mussten beide feststellen, dass sie trotz allem am gleichen Strang zogen. Mit allen Mitteln kämpften sie entsprechend weiterhin gegen Josef, Moritz und Hans an. Aber wie sich nun herausstellte, hatten sie den Kampf verloren.
2010
Aufgeregt rannte Leonie in die Bar. „Ich glaube, ich hab ’ was!“ Keine Antwort. „Hallo? Ist jemand hier?“ Nichts. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Es ist immer jemand hier!“ Wie ein Sturm wirbelte Leonie erst in die Gästetoiletten, dann in die der Angestellten und schliesslich in die Garderobe, sogar die Putzkammer schaute sie sich an. Anschliessend jagte sie in den Vorratsraum und von dort durch die Tür für die Anlieferung in den Innenhof. D och überall das gleiche Bild. S ie traf kein einzige s zweibeiniges Lebewesen.
Resigniert liess sie sich auf eine Kiste plumpsen. „Okay, ich hätte vorher anrufen könne n , das kann ich aber immer noch.“ Zuerst wählte sie Sebastians Nummer. Sie liess so lange läuten, bis sich die freundliche Stimme der Mailbox meldete. Leonie beendete das Gespräch noch vor dem Piep. Als nächstes wählte sie Sörens Nummer. Dasselbe Spiel. Schliesslich versuchte sie es bei Angela. Nach dem vierten Läuten ging auch dort keiner ran. Gerade als Leonie den Versuch aufgeben wollte , vernahm sie hektisches Atmen. Verwundert hob Leonie das Telefon wieder ans Ohr. „Hallo? Angela? “
„Wie? Hallo? Wer ist denn dran?“
„Ich bin’s , Leonie! Sag mal, will ich wissen , was du gerade tust? U nd wenn ich’s nicht wissen will, weshalb nimmst du dann das Gespräch entgegen?“
„Oh , hi ! Entschuldige! Ich habe versucht zwei sich balgende Jungs den Berg hinunterzuwerfen, weil sie nicht aufhören wollten sich zu prügeln .“
„Ah, alles klar. Wo sind die Jungs jetzt?“
„Inzwischen dürften sie im Tal angekommen sein, oder bei ihren Freunden , wie auch immer.“
Nach Angelas Worten erwartete Leonie beinahe heulende Sirenen und leuchtend rote Warnlichter irgendeiner Ihr-S eid-Rabeneltern-Institution . Nachdem alles ruhig blieb, wagte Leonie wieder zu sprechen. „Verstehe. Hättest du dann vielleicht kurz Zeit?“
Angela schien zu überlegen. Oder war die Institution doch noch aufgetaucht? Nur nicht mit wehenden Fahnen , sondern mit einem S.W.A.T-Team? Leonie musste ob der Vorstellung schmunzeln. Angela würde sie alle kurz und klein prügeln .
„Doch, ich glaub ’ das passt in die Tagesplanung, da ich die Kinder unverhofft schon früher ausquartieren konnte. Da fällt mir ein, hättest du morgen Lust auf meine Kids aufzupassen? Heute muss Timo arbeiten und ich auch, aber morgen hätten wir beide frei. Ohne die Rabauken könnte n Timo und ich wieder einmal ein paar nette Stunden zu zweit verbringen, wenn du verstehst.“
„Ä hm , ich verstehe. Lass die Details bitte weg, ja?“
Jetzt musste Angela grinsen . Lachend gab sie zur Antwort: „ Keine Angst, ich verrat e schon nichts. Abgesehen davon , wollte ich dich nur ein wenig verkohlen. D ie Zwerge sind morgen bei Timos Eltern. Also kannst du deine hörbare Panik wieder wegstecken. Wo bist du? Wartest du in der Wirtschaft vom alten Zumbrunn?“
Wie passend. „In Ordnung. Bis gleich.“
Sie legten auf und Leonie begab sich an den verabredeten Ort. Immer noch aufgewühlt dachte sie angestrengt über ihre Entdeckung nach und darüber in welche Ecke das neue Teilchen gesetzt werden musste, um das Puzzle wieder einen Schritt näher zu einem fertigen Bild zu bringen.
Sie war derart vertieft in ihre Gedanken, dass sie nicht auf ihr Umfeld achtete. Ohne aufzublicken steuerte sie um eine Mauer herum und geradewegs in die Arme
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