Wenn die Wahrheit nicht ruht
sogleich wieder aufsprang und weitermarschierte. „Wenn du so weitermachst, ist der Boden bald so dünn, dass ich sehen kann, was der alte Mann im Zimmer unter mir für einen Pyjama trägt.“
Abwesend hob Leonie den Kopf und blickte etwas verwirrt drein. „Wie bitte? Entschuldige. Ich habe kein Auge zugemacht. Nachdem du gegangen warst, bin ich spazieren gegangen und habe lange mit Sebastian gesprochen.“
„Sebastian?“
Leonie, die den Unterton heraushörte, winkte ab. „Ein Arbeitskollege. Irgendwann begannen die Gedanken Spiralen zu ziehen und sie endeten immer am gleichen Punkt. Ich m öchte wissen, wer das getan hat. O b aussichtslos oder nicht, bis ich nicht den letzten Stein umgedreht habe, werde ich nicht aufhören nachzuforschen, was damals geschehen ist . Auch wenn das bedeutet, dass ich nicht wie geplant Ende der Saison weiterziehen kann.“
Etwas f lackerte in Verenas Augen auf, d as Leonie nicht zuordnen konnte. Spontan fiel ihr Triumph ein, aber das machte keinen Sinn. Doch noch bevor sie sich weitere Gedanken darüber machen konnte, klopfte es erneut an die Tür. Verena ging hin und mit dem Öffnen schwebte der herrliche Duft nach frischen Croissants herein, was zur Folge hatte, dass Leonies Magen sich lauthals zu Wort meldete. Dass sie Hunger hatte, war ihr bisher überhaupt nicht aufgefallen . Sie liess sich auf dem Bett nieder, Verena setzte das Tablett vor ihr ab und be deutete ihr, sich zu bedienen.
„ Also schön. Wo möchtest du deine Nachforschungen nun beginnen?“
„Naja, nachdem Sören bereits eine auskunftsfreudige Dame gefunden und befragt hat, dachte ich, er könnte sich ein wenig weiter umhören.“
„Sören?“
„Ja, ein ehemaliger Arbeitskollege. Er ist hier aufgetaucht und ich habe ihm von meinem Erlebnis berichtet. Eigentlich hatte er bereits vor deinem Auftritt die Idee der Nachforschung geäussert, was er dann sogleich in Angriff nahm. “ Leonie hatte keine Lust, sich mit langen Erklärungen abzugeben, sta ttdessen gönnte sie sich einen h erzhaften Biss en ihres zweiten Gipfelis und lenkte das Thema zurück auf den eigentlichen Grund ihres Erscheinens. „Aber wie dem auch sei, ich wollt e dich fragen, ob du vielleich t noch einige Sachen von damals aufbewahrt hast? Ich meine, immerhin hat die Polizei ermittelt. Hast du davon vielleicht noch Berichte? Oder andere Schriftstücke? Bestimmt gab es auch Zeitungsberichte über den Vorfall. Hast du die eventuell sogar gesammelt?“
„Ich habe tatsächlich das ein oder andere aufbewahrt. Ich weiss zwar nicht weshalb, genauso wenig, wie ich weiss, was es bringen soll, aber bei deinen Grosseltern im Keller stehen zwei Kisten mit einigen Dingen. Ich glaube, die eine Schachtel haben sie mir per Post zugeschickt, nachdem sie nach unserer Abreise noch einmal in der Ferienwohnung gewesen waren. Soweit ich mich erinnere, habe ich sie nie geöffnet, sondern einfach in das hinterste Regal im Keller gestellt. Ich habe keine Ahnung, was sich darin befindet. “
„Meinst du, wir können die Kisten heute holen?“
Erstaunt zog Verena eine Augenbraue hoch. „Dein Tatendrang in Ehren, aber möchtest du nicht erst einmal ein bisschen s chlafen?“ Das vehemente Kopfschütteln kannte Verena nur zu gut, weshalb sie gar nicht erst weiterbohrte. „Also gut, dann werden wir heute dem alten Haus einen kleinen Besuch abstatten. Eigentlich trifft es sich ganz gut, ich war schon viel zu lange nicht mehr dort. “
„Ja, es ist auch schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal da gewesen bin. Ist immer noch das nette Ehepaar dort? Wie hiessen sie doch gleich? Die, die eine Abenteuerranch aufbauen wollten?“
„Das Ehepaar Graber. Und ja, sie haben den Hof nach wie vor. Abenteuerranch ist zuviel gesagt, aber sie haben tatsächlich ein nettes Familienziel aus dem H of machen können . Es war schon ein Segen, dass die beiden nach dem Tod deiner Grosseltern mit dieser Idee und dem Wunsch, den Hof nur zu mieten, bei uns aufgetaucht sind. Sonst hätte ich den Hof wohl verkauft . De n kleinen Kellerraum als Lager zur Eigennützung zu behalten, war ebenfalls eine meiner besseren Ideen. “
Leonie musste Lächeln . Diese ganz normalen Mutter-Tochter Momente waren ihr nur selten vergönnt und allzu schnell auch wi eder vorbei, das wusste sie, daher machte sie sich schon lange keine falschen Hoffnungen mehr. D ennoch, oder eben deswegen, genoss sie die Augenblicke umso mehr. Während Verena im Badezimmer verschwand, warf Leonie einen kurzen
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