Wenn die Wahrheit nicht ruht
Bar, dem Herausziehen der Kristallkaraffe, dem Hervorholen des Glases sowie dem Einschenken waren klimpernde Geräusche entstanden , die das Rascheln von K leidung im Flur überlagert hatten .
Jetzt , da Moritz sich mit hochgelagerten Füssen selbst zu seinen Geniestreichen beglückwünschte, gab es nichts mehr, das ein ungewohntes Geräusch filtern konnte. Also war es an der Zeit, kompromisslos und schnell zu handeln. Ein Sprung, ein Stich. Der Schatten löste sich aus seinesgleichen, preschte herv or und stürzte sich auf Moritz.
Aufgeschreckt riss jener die Augen weit auf. Die Blicke trafen sich. Der eine entsetzt und verständnislos, der andere kalt und doc h glühend vor Entschlossenheit.
Abwehrend hob Moritz die Arme vor den Kopf. Aber was schützend hätte wirken soll en , war vergeben e Mühe. Und das wusste er zu dem Zeitpunkt, als er ein helle s Aufblitzen im Schein der Leselampe wahrnahm. Glitzernd durchschnitt die Klinge erst die Luft , bevor sie unbarmherzig Moritz ’ Fleisch durchbohrte und im Dunkelrot seines Blutes ertrank.
Die Erkenntnis traf Moritz so stechend , wie der Schmerz und glomm gleichzeitig auch wieder ab. Unfähig sich zu wehren , fühlte er, wie langsam eine Taubheit von seinen Gliedern Besitz ergriff , der Wachheit die Müdigkeit folgte und die wohlige Wärme des Raumes nicht mehr gegen die eisig zugre ifenden Klauen des Todes bestehen konnte.
Das Gesicht zu einer panischen Fratze verzerrt , sammelte er die letzten Kräfte, griff nach dem schwarzen Umhang seines über ihn gebeugten Angreifers und formulierte kaum hörbar eine allerletzte Frage: „Warum?“
Und dann hallte diese Frage noch einmal laut wider .
Im ersten Augenblick begriff die über den nunmehr flacher und flacher atmenden Moritz gebeugte Gestalt mit dem Messer nicht, dass der Ausruf zu laut war, um von einem Mann zu stammen, der den letzten Atemzug tat. Erst eine Bewegung unmittelbar neben der Bar, verriet den ungebetenen un d ebenso unerwarteten Besucher.
Tränenüberströmt stürzte Moritz’ Knecht auf dessen Mörder zu, welcher ertappt in einer Starre verharrend , einen klaren Gedanken zu fassen versuchte. In letzter Sekunde siegte aber der Instinkt und der Eindringling zog das Messer aus Moritz Brust .
Doch noch ehe er wusste, wie ihm geschah, schlug er hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. Der Atemluft beraubt , drohte Moritz ’ Mörder bewusstlos zu werden. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Als die Erkenntnis über das soeben G eschehene in sein Bewusstsein drang, versuchte er unter höchster Anstrengung den auf ihm liegenden Körper wegzuschieben, um sich gleich darauf mit der Bewahrheitung seiner Befürchtung konfrontiert zu sehen. Nicht mehr fähig sich zu w ehren , rollte der Knecht mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seite, die Arme fielen leblos neben seinen Körper, Blut quoll i h m aus dem Mund, aus seinem Bauch ragte der schwarze Griff des grossen Fleischermessers.
2010
Stöhnend setzte sich Verena in ihrem Bett auf und rieb sich die verschlafenen Augen, als es erneut an die Holztür ihres Hotelzimmers polterte. Den angefangenen Tag bereits verfluchend rollte sie sich aus den Laken, schlüpfte in die Pantoffeln und murmelte vor sich hin, dass sie unterwegs sei. Dies konnte der ungeduldige Polterer aber nicht hören, weshalb weiteres Klopfen ertönte, diesmal gefolgt von einer Stimme. „Mama! Mach auf! Ich muss mit dir sprechen!“
An der Tür angekommen, öffnete Verena sie nur einen Spaltbreit, was Leonie aber genügte, um sich rüpelhaft und rücksichtslos Zutritt zum Zimmer zu verschaffen.
„Herrgott, Leonie! Was ist denn los? Und wie siehst du eigentlich aus? Hattest du diese Klamotten nicht gestern schon an?“ Verena musterte ihre Tochter skeptisch. Die roten Haare standen ihr wirr vom Kopf ab, unter ihren Augen bildeten sich dunkle Schatten , von ihrem Li dschatten war nicht mehr viel übrig und die Wimperntusche begann sich in feinen Stückchen von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort zu trennen. „Du bist nicht im Bett gewesen, nicht wahr?“ In Verena re g te sich so etwas wie Mutterinstinkt, was sie dazu bewegte, zum Telefon neben dem Bett zu greifen und die Rezeption anzurufen. Nach längerem Hin und Her hatte Verena die Dame am Telefon soweit, dass sie ausnahmsweise einige Brötchen, Confitüre, Butter und frischen Orangensaft aufs Zimmer bringen liess. Anschliessend drückte sie die nervös im Zimmer auf und ab laufende Tochter aufs Bett, von wo diese aber
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