Wenn die Wahrheit nicht ruht
die Lösung des Problems noch nicht in greifbare Nähe gerückt war. Dadurch fühlte sich die Angestellte dann schliesslich veranlasst, in die hinteren Räume zu verschwinden und eine weitere Frau hervorzuzaubern, welche sich offensichtlich ihrer bestimmt wohlverdienten Pause beraubt sah , denn sie hatte es versäumt , die Serviette aus ihr em Hemdausschnitt zu entfernen und ihre n wütenden Gesichtsausdruck verschwinden zu lassen.
So trat Leonie etwas scheu mit einem möglichst gewinnenden Lächeln an den Tresen, beugte sich so nah wie möglich zu der Serviettenfrau dahinter und begann die Unterhaltung mit vertraulich gedämpfter Stimme. „Entschuldigen Sie, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber…“ Leonie deutete auf di e Serviette. Die Frau sah an sich hinunter und sofort schoss ihr die Schamesröte ins Gesicht. Ruckartig zog sie das Stofftuch aus ihrem Ausschnitt und liess es unter dem Thekenblatt verschwinden. Dann räusperte sie sich, zeigte ein Lächeln wie aus einer Zahnpastawerbung und fragte nach Leonies Wünschen.
„Ich hätte eigentlich nur gerne gewusst, wer in den Jahren 1986 bis ungefähr ’ 88 Gemeindepräsident von Grächen war?“
„Oh, da muss ich nachsehen. Haben Sie es bereits in der Gemeindeverwaltung versucht?“
„Allerdings. Da habe ich aber leider niemanden angetroffen.“
„Mhm.“ Der undurchdringliche Gesichtsausdruck und das vage Nicken liess en keine Rückschlüsse darüber zu, was im Kopf der Dame vorging. „Nun gut, dann werde ich doch gleich mal sehen, wie ich Ihnen helfen kann.“ Sie senkte den Blick und gleich darauf war das Klicken und Klacken einer Tastatur zu hören. Schliesslich mischte sich auch noch eine PC-Maus ein, bevor dann die Bedienerin selbst sich wieder zu Wort meldete. „Also, der Gemeindepräsident im Jahr 1986 hiess Hans Zumbrunn. Er wurde nach seiner offiziellen Amtsperiode wiedergewählt und zog sich schliesslich im Jahr 1990 vollständig von den Amtsgeschäften zurück. “
„Hans Zumbrunn. Okay. Könnten Sie mir eventuell sagen, ob er noch hier im Dorf lebt? “
„Nun, da sie es aus dem nächsten Telefonbuch und dank Google maps sowieso erfahren würden: E r wohnt im Chalet ‚Abendsonne’ . Weiter oben im Dorf. Noch einen kurzen Augenblick Geduld bitte.“ Leonie hörte wie sich ein Gerät ratternd in Bewegung setzte, welches sie am Geräusch des Papiereinzuges als Drucker identifiziert e . Im nächsten Moment legte ihr die Dame eine Karte vor. „Also, wir sind hier“, sie umkreiste den Standort des Tourismusbüros mit einem roten Stift, „und Herr Zumbrunn wohnt hier.“ Den zweiten Punkt auf der Karte markierte sie mit einem Kreuz. „Darf ich fragen, weshalb Sie sich für ihn interessieren?“
Plötzlich beschlich Leonie ein ungutes Gefühl. „Nun, ich bin Lehrerin im Unterland und möchte mit meiner Klasse ein Sommerlager in Ihrem bezaubernden Dorf machen. Ein Teil des geplanten Programms behandelt die Vergangenheit des Dorfes. Dabei gibt es verschiedene Post en, wie zum Beispiel Grächen und seine Sagen, Grächen und seine Politik, Grächen und der Sport und so weiter. Hierzu möchte ich nicht nur die Fachliteratur beiziehen, sondern auch mit Menschen sprechen, die direkt in irgendeiner Art mit den Themen zu tun haben oder hatten. Mit dem ehemaligen Gemeindepräsidenten möchte ich nun anfangen. “ Leonie hoffte, die Frau würde ihr ihre Geschichte abkaufen.
Wieder dieses vage Nicken. Leonie entschloss, zu verschwinden, bevor die Frau noch mehr Fragen stellte . „Also dann. Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen. Vielleicht brauche ich Sie nochmals wegen der Sagen. Bis dahin wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen.“ Sie krallte sich den Au sdruck und wandte sich zum Gehen. Dabei ging sie ohne es richtig wahrzunehmen , an einer alten, gebeugt gehenden Frau mit grauem , zu einem Knoten geschlungenen Haar , die e ine Pralinenschachtel in der Hand hielt, vorbei . Erst recht bemerkte Leonie nicht, wie die Frau ihr mit wachen blauen Augen nachsah.
Als die Tür hinter Leonie ins Schloss fiel, eilte die Frau, die sie bedient hatte, wieder in den Nebenraum zurück. Doch anstatt dass sie sich wieder über das angefangene Sandwich hermachte, griff sie nach dem danebenstehenden Telefon. Sie klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und tippte eine Nummer ein. Bald schon wurde das Freizeichen durch eine raue Stimme ersetzt. „Hans?“
„Ja?“
„Es war gerade eine Frau hier, die nach dem
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