Wenn die Wahrheit nicht ruht
War er noch da? Stand er jetzt neben ihrem Seitenfenster? Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und drehte den Kopf- aber da war nichts. Aussteigen wollte sie dennoch nicht. Mit zitternden Händen l egte Leonie den Rückwärtsgang ein und gab vorsichtig Gas. Es ruckelte kurz, aber dann rührte sich nichts mehr. Mit etwas mehr Gas versuchte sie es noch einmal - vergeblich. Ovalium bewegte sich nicht vom Fleck. Hilflos schlug sie auf das Lenkrad ein, bevor sie den Kopf darauf sinken liess und tief durchatmete. Schliesslich drehte sie den Zündschlüssel und versuchte , vorsichtig die Tür zu öffnen. Der Druck des Schnees lastete schwer auf der Tür, so dass sie nur einen Spaltbreit nachgab. Leonie versuchte es ein zweites Mal. Diesmal nahm sie ihre Schulter zu Hilfe und drückte mit ganzer Kraft. U nd tatsächlich liess sich die Tür soweit aufschieben, dass sie aussteigen konnte . Sie hievte sich aus dem Auto und sank sofort knöcheltief in den umliegenden Schnee. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen sah sie sich vo rsichtig um . Doch da schien nichts zu sein, ausser sie und ihr Auto . Sie zwang sich, über ihre Möglichkeiten nachzudenken .
Man musste kein Genie sein, um zu sehen, dass sie ihr Auto ohne Hilfe nicht mehr aus diesem weissen Haufen herausbrachte. Also wählte sie erneut Sebastians Nummer, ahnte beim Blick auf die Empfangsanzeige aber bereits, dass sie niemanden erreichen würde. Indes schwand d as Tageslicht immer mehr und die Dunkelheit legte sich nach und nach wie e in schweres Tuch über den Wald.
Leonie litt derweil unter nasskalte n Füss en , weil der Schnee ihr oben in die Schuhe rutschte . Als wäre das nicht genug, kroch ihr die Eisesk älte nach und nach in die Knochen . Die Beine fühlten sich bereits steif an . Dagegen musste sie etwas unternehmen. S ie zog ihre Tasche aus dem Auto und verriegelte es sicherheitshalber. Das Haus konnte ja soweit nicht mehr sein.
Leonie wandte sich zum Gehen, hatte aber reichlich Mühe sich aus dem Tiefschnee, in dem sie steckte , zu befreien. Wie sie feststellen musste, war sie doch ein Stück über die Bös chung gerutscht, die es nun zu e rklimmen galt, um auf den Weg zurückzukommen. Sie hatte das Gefühl an Ort und Stelle zu treten. Wenigstens fror sie unter der Anstrengung nicht mehr. Stattdessen begann sie sich allerlei Horrorgeschichten um wilde Tiere und Gespenster zusammen zureimen . A uch der Gedanke, dass sich Sebastian bestimmt fragte , wo sie abgeblieben war , nagte an ihr . Unter diese ganzen Wirrungen mischte sich dann bald ein Anflug leichter Panik, mit der auch d ie Kälte zurück kam , die ekelhaft unter den dünnen Schweissfilm kroch .
Rund herum war nur das Leuchten des w eissen Schnees zu sehen, aus dem geisterhaft die dunklen Baumstämme in den Himmel ragten .
Um sich abzulenken begann Leonie eine Unterhaltung mit sich selbst, verstummte dann aber abrupt. Irgendwo hatte ein Ast geknackt. Oder bildete sie sich das nur ein? Sie hielt inne und lauschte. Nichts. Erneut setzte sie sich in Bewegung. Und plötzlich meinte sie ein Licht durch das Unterholz schimmern zu sehen. Aber egal , wie angestrengt sie in die Dunkelheit spähte, es war nichts zu erkennen.
„Herrgott, wo ist da s verfluchte Haus! Ich werde hier noch ganz irre! Wahrscheinlich holt mich noch ein Waldgespenst!“ Kaum hatte sie den Satz beendet, geschah es. Noch einmal ertönte ein Knacken. Leonie sah auf und konnte gerade noch eine schwarze Gestalt erkennen, die von oben auf sie herabstürzte. Der Körper traf sie hart und riss sie in den Schnee. Sie wollte schreien, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Es dauerte einen Moment , bis sie merkte, dass dieses Gefühl keine Einbildung, sondern echt war. Ihr Angreifer sass r ittlings auf ihr , hielt mit den Händen ihren Hals umschlossen und drückte gnadenlos zu. Ihre Arme waren jeweils unter einem seiner Knie begraben, was sie annähernd bewegungsunfähig machte.
Irgendwo in ihrem Kopf bildete sich das Wort Beine. Also begann sie so heftig mit ihren Beinen zu strampeln, dass ihr Unterle ib ebenfalls in Bewegung geriet. D och der Druck auf Hals und Arme liess nicht nach, er nahm nur noch mehr zu .
„Du kleines Miststück glaubst wohl mir entkommen zu können, was? Das kannst du gleich vergessen!“
Er drückte noch fester zu, aber Leonie war mit ihren Gedanken ganz woanders. Die Stimme war rau und tief und sie hatte das Gefühl, sie schon ein mal gehört zu haben. Nur wo?
Doch dann sagte er etwas, das sie schlagartig
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