Wenn die Wahrheit nicht ruht
Aber irgendetwas ging hier vor. Mein Vater wurde absichtlich angefahren. Ich glaube, er wa r einer Sache auf der Spur, deren Aufdeckung jemand verhindern wollte.“
„Das sind aber schwerwiegende Vorwürfe.“ Mit grossen Augen genehmigte sich Heinz einen Schluck seines Selbstgebrann ten, w äh rend Sebastian neugierig nachha kte. „Wie kommst du darauf?“
Leonie schilderte , wie sie und ihre Mutter die Kisten von dem a lten Hof ihrer Grosseltern geholt hatten und sie schliesslich auf die Notiz gestossen war. Dann erzählte sie auch noch von der alten Frau, die in der Bäckerei die seltsame Warnung ausgestossen hatte und schliesslich erwähnte sie, wie viele Menschen ausgerechnet in jenem Zeitraum vers chwunden waren. Obwohl sie bei L etzterem zugegebenermassen den Zusammenhang zu dem, was ihrem Vater zugestossen war, nicht herstellen konnte.
Inzwischen war Sebastian aufgestanden. Unruhig ging er im Raum auf und ab, bis er an ein Sideboard gestützt stehen blieb und den Blick nachdenklich dar über schweifen liess. Viele Andenken aus seinen Kindertagen reihten sich hübsch eingerahmt nebeneinander. Er konnte sich an vieles, was dort abgebildet war , kaum erinnern. Doch einiges war ihm geblieben. So zum Beispiel der Ausflug in die Beatushöhlen, der mit einem Schnappschuss festgehalten wurde, auf dem er seiner Mutter auf den Knien sass, neben ihm ein kleiner Hund, der neugierig an seiner Hand schnupperte. Oder das Bild, auf dem eines der vielen Male verewigt worden war, an denen Sebastian seinen Vater bei der Arbeit besuchte. Keck sass er mit einer riesigen Sonnenbrille, in einen schrecklichen Pullover gekleidet , vor dem Häuschen neben dem Skilift und grinste in die Kamera. Er schnaubte bei der Erinnerung, wie schrecklich die Mode damals gewesen war. Dann blieb sein Blick an einem Bild hängen, das den kleinen , über beide Ohren strahlenden Sebastian a uf einem grossen , grünen Spielzeu gtraktor zeigte. Das war ein Augenblick gewesen, der sich in Sebastians Gehirn unwiderruflich einge brannt hatte.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nahm er das Foto in die Hand, um es genauer betrachten zu können. Es war an seinem vierten Geburtstag gewesen. Der Schnee hatte sich hartnäckig bis weit in den Frühling gehalten, was auch der Grund dafür war, dass er im Skianzug auf dem grünen Gefährt sass. Sebastian hatte sich immer genau einen solchen Traktor gewünscht, doch leider vergeblich. Jedes Jahr hiess es aufs Neue, das Geld wäre zu knapp. Aber dann wurde auf einmal alles anders. Der Hof erhielt einige Neuerungen, Mutter bekam die neue Küche und Sebastian endlich seinen Traktor. Natürlich hatte er den neuen Wohlstand ohne zu fragen akzeptiert und die darauf folgenden Geschenke genossen. Heute war er erwachsen, aber bis zu diesem Datum hatte er sich dennoch nie gefragt, woher da s Geld auf einmal gekommen war.
Falscher Zeitpunkt, schalt er sich selbst und riss sich aus seinen Grübeleien. Ein seltsames Gefühl blieb aber. Er musste seinen Vater unbedingt einmal danach fragen. Aber nicht heute. Entschlossen wandte er sich wieder den beiden weiteren Menschen im Raum zu, die sich angeregt unterhielten. Offenbar war das erdrückende Thema der Vergangenheitsfindung übergegangen zu einer Diskussion über Einrichtungsfragen.
„…nein, Ikea ist in Ordnung. Es hat ’s einfa ch jeder “ , s chloss Leonie die Unterhaltung über den Sinn von Möbelhäusern. Dann lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf Sebastian. „Na, aus deinen Abendträumen aufgewacht?“ Dass er auf einmal verschlossen wirkte, entging ihr keineswegs. „Was denkst du, sollen wir langsam aufbrechen? Wir haben die Gastfreundschaft deines Vaters nun schon genug strapaziert und schliesslich stoppt der Alltag auch nicht einfach, nur weil ich etwas angeschlagen bin.“
Sebastian schaute noch einmal auf das Bild, welches er nach wie vor in seiner Hand hielt und dann sah er s einen Vater nachdenklich an, bevor er schliesslich antwortete. „Ja. Ja, ich glaube, wir gehen jetzt.“
Sie packten ihre Sachen, Leonie bedankte sich herzlich und wurde mit einer Umarmung belohnt, was sie leicht erröten liess , und schliesslich schloss sich die Tür hinter ihnen.
„Was ist los mit dir?“
„Ich weiss nicht , was du meinst.“ Ohne ein weiteres Wort wandte sich Sebastian seinem Auto zu und bedeutete Leonie auf der Beifahrerseite einzusteigen.
„Oh! Dann können wir auch gleich mein Auto aus dem Schnee ziehen, oder ? In diesem Monster hier hast du ja
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