Wenn Die Wahrheit Stirbt
dass ihr Herz einen Tick schneller
schlug. »Nein, das ist natürlich kein Problem. Um wie viel Uhr bringst du sie vorbei? Oder willst du, dass ich sie abhole?«
»Ich bring sie dir in einer halben Stunde, wenn’s recht ist.«
»Gut. Also bis dann.« Gemma beendete das Gespräch, als sie Schritte auf den Haustürstufen hörte, und gleich darauf kam Duncan herein. Er hatte das Sakko über die Schulter geworfen, die Krawatte in die Tasche gesteckt und die Hemdsärmel hochgekrempelt.
»Du hast ja richtig Farbe im Gesicht«, sagte er. Seine Bartstoppeln kratzten, als er ihr einen Kuss gab. Gemma legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte seine Wange noch einen Moment länger an ihre. Als sie ihn wieder losließ, musterte er sie kritisch. »Hast du einen Sonnenbrand, oder freust du dich so, mich zu sehen?«
»Nein. Ich meine, ja. Beides.« Sie wusste selbst nicht, warum sie so aufgeregt war. Es war ja schließlich nicht so, als ob sie nicht wüsste, wie man ein kleines Kind hütete, auch wenn es schon lange her schien, dass Toby in dem Alter war. »Was ich sagen wollte, ist - wir kriegen Besuch.«
16
… denn ein Zuhause war für mich ganz bestimmt nie etwas auch nur im Entferntesten Materielles. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es in etwas bestand, das ich als Zuflucht empfand: einer Atmosphäre der Geborgenheit in der Liebe, die meine Eltern verband. Sie drückte sich im Tonfall einer Stimme aus, in der Zubereitung der Mahlzeiten und im Essen, in Gesprächen während des Abwaschs oder der Gartenarbeit.
Dennis Severs, 18 Folgate Street
Anfangs gab es noch ein paar Schwierigkeiten. Charlotte hatte sich bereitwillig von Gemma in den Arm nehmen lassen, als Betty sie abgeliefert hatte, doch als sie dann im Haus waren, machten die Hunde mit ihrem Bellen und Herumspringen ihr Angst, und sie presste das Gesicht an Gemmas Schulter.
»Ist ja schon gut, Schätzchen«, versuchte Gemma sie zu beruhigen. »Die Hunde wollen bloß deine Freunde sein.« Aber Charlotte klammerte sich nur noch fester an Bob, ihren Stoffelefanten, und starrte die Hunde mit angstgeweiteten Augen an. Naz und Sandra hatten offenbar keinen Hund gehabt, dachte Gemma, und sie war den Anblick nicht gewohnt.
Duncan war rasch in Jeans und T-Shirt geschlüpft und hinausgegangen, um die Jungs aus dem Garten zu holen. Sie hatten Bettys Kleinbus vorbeifahren sehen, und nun kamen sie alle hereingestürmt, um ihren Gast zu bestaunen.
»Sagt hallo zu Charlotte, Jungs«, forderte Gemma sie auf.
Toby, noch ganz aufgedreht vom Spielen im Garten und von der Aufregung über Duncans Heimkehr, stapfte durch den Hausflur und kreischte: »Ich bin Käpt’n Hook, und ich werde dich dem Krokodil zum Fraß vorwerfen!« Dazu hob er die Hand mit krallenartig gekrümmten Fingern.
Aus lauter Verzweiflung hatten sie seine Fluch-der-Karibik- DVDs ausrangiert und sie durch sämtliche Versionen von Peter Pan ersetzt, deren sie habhaft werden konnten. Jetzt war Gemma sich nicht mehr sicher, ob das so klug gewesen war.
»Toby, wenn du dich nicht ordentlich benehmen kannst, darfst du auf dein Zimmer gehen«, schimpfte Gemma, während Charlotte ihren Kopf noch tiefer in ihrer Schulter vergrub.
Als auch noch Duncan ihm einen warnenden Blick zuwarf und sagte: »Schalt mal’nen Gang runter, Sportsfreund«, beruhigte sich Toby ein wenig, sang aber weiter halblaut vor sich hin und machte kleine Flugbewegungen mit den Armen.
Duncan strich Charlotte über die Locken und sagte mit sanfter Stimme: »Na, du bist aber ein hübsches Mädchen, was, Schatz?«
Kit, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten und die Szene beobachtet hatte, ergriff die Initiative. »Sie fürchtet sich vor den Hunden«, flüsterte er und wandte sich dann an Charlotte. »Hi, Charlotte«, sagte er. »Ich bin Kit. Das ist Tess, und das ist Geordie.« Dabei zeigte er zuerst auf den einen, dann auf den anderen Hund. »Die zwei können Kunststücke. Willst du mal sehen?«
Charlotte lugte an Gemmas Schulter vorbei und nickte kaum merklich.
Kit ließ die Hunde zuerst »Sitz« und dann »Platz« machen. Dann musste Geordie Pfötchen geben, und Tess durfte eine Rolle machen. Die kleine Terrierhündin sah so komisch aus, wie sie alle viere gerade in die Luft streckte und mit ihrem zottigen Gesicht verkehrt herum zu ihnen aufschaute, dass Gemma
zu spüren glaubte, wie Charlotte in sich hineinkicherte. Doch als Kit sie fragte, ob Geordie ihr die Pfote geben sollte, schüttelte sie den Kopf und
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