Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Außergewöhnliches.«
»Na gut, du hast eben was von Eis gesagt«, wechselte Guy das Thema.
Blondel nickte. Er lieh sich von Giovanni fünf Pfund oder besser, er holte sich die Erlaubnis zur Benutzung von dessen Beaumont Express-Card ein –
und machte sich auf die Suche nach einem Erfri-schungsstand. Die Galeazzo-Brüder entdeckten einen Stand zum Ringwerfen, und schon bald war abzuse-hen, daß sie im Nu sämtliche Preise abräumen würden. Guy und Isoud setzten sich unter einen Kastani-enbaum.
»So, da wären wir also«, stellte Guy geistreich fest.
»Ja«, antwortete Isoud.
»Ähm … also …«, stammelte Guy, und er hatte dabei das Gefühl, daß es wahrscheinlich nicht nur leichter, sondern auch sehr viel angenehmer wäre, durch hüfthohen Senf zu waten. »Ich meine, na ja, unsere gemeinsame Zukunft. Also, das mit dem Heiraten und so.«
»Ja?«
Wie Guy sich erinnerte, ist es das Vorrecht der Frauen, im Verlauf einer äußerst peinlichen Konversation ausschließlich einsilbige Antworten geben zu dürfen. Plötzlich fiel ihm ein, daß sein Vater wahr-407
scheinlich ein ähnliches Gespräch geführt haben mußte, weil er, Guy, sonst nicht hiersein könnte. Und der Vater seines Vaters mußte auch ein solches Gespräch geführt haben und dessen Vater auch, bis hin zu jener Periode der Menschheitsgeschichte, als es gesellschaftlich üblich war, Mädchen eins mit der Keule über den Schädel zu ziehen und sie an den Haaren hinter sich herzuschleifen. Es grenzte an ein Wunder, daß die Erde überhaupt bevölkert war.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Isoud, aber
… also, in gewisser Hinsicht …«
Ihm wurde klar, daß er nicht die geringste Ahnung hatte, was er als nächstes sagen sollte. Als er gerade das Thema wechseln und sich über einen völlig ge-wöhnlichen Baum auf der anderen Seite der Wiese auslassen wollte, blickte ihn Isoud mit sehnsüchtigen Augen an und hauchte: »Oh, Guy!«
Na bitte, wieder mal einsilbig. Ich nehme an, sämtliche Zeilen der Braut bei der kirchlichen Trau-ungszeremonie setzen sich aus einsilbigen Wörtern zusammen. Jedenfalls wäre das nur konsequent.
»Nun, wie ich schon gesagt habe, Isoud. Sie und ich, also wir …«
»Küß mich, Guy!«
»Wie?«
»Ich habe gesagt, küß mich«, wiederholte Isoud, wobei sie nur noch ein Hauch ihrer selbst zu sein schien.
Guy wollte sagen: Moment mal, ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden, Isoud. Eigentlich 408
wollte ich Ihnen nämlich sagen, daß wir jetzt, da wir herausgefunden haben, wie flexibel und leicht ju-stierbar die Zeit für uns ist, gar nicht mehr heiraten müssen. Und weil keiner von uns beiden von dieser Idee begeistert ist … Da ihm seine Mutter aber beigebracht hatte, nicht mit vollem Mund zu reden, hielt er sich auch daran.
»Hallo, ihr beiden«, platzte Blondel dazwischen und grinste sie über ein bewegliches Hindernis aus weißem Gefrorenen hinweg an. »Habe ich’s mir doch gedacht.«
Isoud ließ von Guy ab, der nun wußte, wie sich ein Fels fühlen mußte, wenn überall Napfschnecken an ihm hafteten. Hübsch und artig errötend, murmelte Isoud etwas davon, daß sie mal drüben an dem Stand mit allerlei Krimskrams vorbeischauen wolle, und hüpfte dann – jedenfalls nach Guys Dafürhalten –
beinahe wie ein glückstrahlender Elektromagnet davon.
»Hier, dein Eis«, sagte Blondel. »Also hat dir Isoud eben unser Familienalbum gezeigt, wie?«
»Quatsch«, wehrte sich Guy.
Blondel zuckte die Achseln. »Na, wie dem auch sei, auf alle Fälle habe ich damals ganz schön lange gebraucht, um dich zu finden. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht so intensiv nach dir gesucht, da ich andauernd damit beschäftigt war, den Aufenthaltsort des Königs herauszufinden. Aber lieber spät als zu spät, finde ich.«
»He, Moment mal!« empörte sich Guy, und ob-409
wohl er sich dabei die ganze Nase mit Eis beklecker-te, schien ihn das nicht im geringsten zu stören.
»Willst du etwa damit sagen … du hast mich extra dafür ausgewählt?
Ich habe immer gedacht, das Ganze ist reiner Zufall gewesen.«
»Wohl kaum«, antwortete Blondel. »Ich will ja nicht unhöflich sein, aber hätte ich die freie und uneingeschränkte Wahl gehabt, hätte ich mir wahrscheinlich einen Assistenten ausgesucht, der besser schießen kann.
Dabei hast du dich nicht einmal schlecht geschlagen«, fügte er hinzu. »Ganz im Gegenteil sogar.
Aber du weißt schon, wie ich das meine.«
»Ja, ich verstehe«, log Guy. »Du willst also damit
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