Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
»vielen Dank, mein lieber Freund.«
Blondel kniete nieder, und als er »Euer Majestät«
sagte, rannen ihm Tränen übers Gesicht, die wie die aufgemalten Tränen an den Wänden der Gummiburg aussahen. »Euer Majestät, das war nicht der Rede wert.«
Der König umfaßte mit seinen steifen Händen Blondels Schultern und zog ihn daran hoch. Das Tageslicht schien ihm keine Schwierigkeiten mehr zu bereiten, und er sah sogar ganz wie ein Mensch aus, dem nie wieder etwas Schwierigkeiten bereiten könnte.
»Also gut, dann wollen wir mal«, sagte er.
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11. KAPITEL
ufgrund der unermüdlichen Bemühungen der A Zeitwächter sind Zeitstürme heutzutage natürlich sehr viel seltener, als sie es in fünfhundert Jahren sein werden, und im selben Maße, wie die Bedro-hung schwand, die sie darstellen werden, wird die Menschheit das fast unbeschreibliche Chaos vergessen, das sie verursachen werden, und sie wird sogar versäumen, wenigstens die grundlegendsten Vor-sichtsmaßnahmen zu treffen – wie zum Beispiel sich Name und Geburtsdatum unauslöschlich auf die Stirn zu tätowieren.
In einem Zeitsturm geschehen Ereignisse, die unter normalen Umständen nacheinanderfolgend passiert sind oder passieren werden, plötzlich gleichzeitig. Mit anderen Worten: Menschen werden geboren, leben ein langes und erfülltes Leben, schließen dy-namische Lebensversicherungen ab, heiraten, geben für Teppiche ein kleines Vermögen aus, bekommen Kinder, altern in Würde und sterben, und das alles zu ein- und derselben Zeit. Bäume sind gleichzeitig Bu-chen, Eichen und Bleistifte. Sämtliche Wochentage finden gleichzeitig statt. Die Laufzeit von Lebens-418
versicherungen endet mit Zahlung der ersten Prämie, so daß der Versicherungsbetrag im selben Augenblick in voller Höhe fällig ist. Die Preise für Weine aus besonders guten Jahrgängen stürzen tief in den Weinkeller. Die Relativitätstheorie, die Gesetze der Thermodynamik und selbst Ladenschlußzeiten haben keinerlei Bedeutung mehr. Mit dem Rauchen aufzuhören, fällt zwar leichter als gewöhnlich, ist aber völlig sinnlos.
Die Auswirkungen eines solchen Zeitsturms sind derart verheerend, daß sie ausnahmslos irreparabel sind; und mit einiger Erleichterung konnte die Caer-narfon Castle-Kommission berichten, man könne es praktisch als erwiesen ansehen, daß keins der er-wähnten Beispiele einer derartigen Katastrophe stattgefunden habe.
Wenn jemand erst einmal in einen solchen Zeitsturm geraten ist, kommt er niemals wieder heraus; und jeder, der diesem Phänomen ausgesetzt ist, muß materiellen Ruin, unheilbare seelische Schäden und einen kostenlosen digitalen Stereo-Radiowecker erleiden.
»Um Himmels willen, wo sind wir?!« schrie Guy.
Auch wenn er es nicht wollte, anscheinend bestand seine einzige Rolle in diesem Leben darin, diese Art von Fragen zu stellen; als würde er von irgendeinem unsichtbaren Geschichtenerzähler als Lückenbüßer mißbraucht.
»Ich weiß es nicht!« brüllte Giovanni zurück.
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»Finden Sie wirklich, daß das noch eine Rolle spielt?«
Nein, eigentlich nicht, gestand sich Guy im stillen ein.
Wahrscheinlich spielt sowieso nichts mehr eine Rolle oder wird jemals wieder eine Rolle spielen. Ich meine, so ist es doch, oder?
Eine schwache Stimme in seinem Hinterkopf pflichtete ihm bei: Ja, genauso ist es.
Zeit und Raum sind natürlich eng miteinander verknüpft. Genannt sei hier nur ein grundlegendes Beispiel: Aufgrund tektonischer Verlagerungen sind die verschiedenen Landmassen nicht mehr dort, wo sie einst waren, und die Leute, die in wertvolle Bau-grundstücke investierten, die sich auf dem Landstrei-fen befanden, der England und Frankreich miteinander verband, haben es schon lange aufgegeben, die Repräsentanten der Beaumont Street-Immobilien, die ihnen dieses Bauland verkauft hatten, zur Rechenschaft zu ziehen, und starben.
Mit anderen Worten: Wo man ist, hängt stark davon ab, wann man ist. Wenn man allerdings mitten in einem Zeitsturm von solchem Ausmaß steckt, daß achthundert Jahre Geschichte wie die Zudecke auf dem Bett der Kausalität zurückgeschlagen werden, ist die ganze Angelegenheit nur noch von rein intellektuellem Interesse, und die einzig wichtige Frage, die sich einem stellt, lautet dahingehend, ob dieser Zustand jemals aufhört oder nicht.
»Was war das?« kreischte Guy pflichtbewußt.
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»Siebzehnhundertneunundachtzig«, brüllte Giovanni unter einem Baumstamm hervor. »Haben Sie das nicht erkannt?«
Der gewaltige
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