Wenn du lügst
er es ist. Und Sie werden sich dann nicht irgendetwas Beruhigendes sagen können, denn er könnte es tatsächlich sein.« Es war nicht nett, und es war nicht hübsch, aber es war die Wahrheit.
Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Was wollen Sie? Ich kann nicht aussagen. Wollen Sie sonst noch irgendetwas?«
»Als Erstes - hat er je ein kleines Mädchen erwähnt, etwa im Vorschulalter?«
»Ich glaube nicht, dass er Kinder hatte, zumindest keine, von denen er wusste.«
»Müsste nicht sein eigenes gewesen sein, war es vermutlich auch nicht. Hatte er sexuelles Interesse an Kindern?«
»Nicht im Besonderen, aber das hätte für ihn keinen Unterschied gemacht. Er sagte einmal, dass Mädchen alt genug für Sex wären, sobald sie alt genug seien, die Beine zu spreizen.«
Ich zuckte zusammen. »Lieber Himmel.«
»Was soll ich sagen? Er ist ein Stück Dreck. Diese Bemerkung war einer der Gründe, weshalb er aus meiner Therapiegruppe geflogen ist. Er weigerte sich, sie zurückzunehmen. Warum fragen Sie nach einem kleinen Mädchen?«
»Ich habe einen Hinweis auf eines in den Akten entdeckt«, log ich. »Aber jetzt finde ich ihn nicht mehr.«
»Um was ging es genau?«
»Um ein totes kleines Mädchen.«
»Ich habe in den Akten nichts Derartiges gesehen, es müsste also in den vergangenen zehn Jahren, seit ich weg bin, passiert sein.«
»Wir bekommen alle möglichen Unterlagen«, fügte ich hinzu. »Dokumente der Staatsanwaltschaft, Polizeiberichte, Aussagen von Opfern. Es muss nicht zwingend in den Gefängnisakten gestanden haben.«
»Nun, ich weiß nichts darüber, würde es ihm aber jederzeit zutrauen. Sonst noch was?«
»Ja, sein persönlicher Lebensbericht ist nicht bei den Unterlagen. Bei den meisten Therapieprogrammen ist das jedoch Vorraussetzung. Hat er einen geschrieben?«
Sie dachte nach. »Ja, ich glaube schon. Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Ich erinnere mich, dass er recht ausführlich war. Er hat, soweit ich weiß, alles geleugnet bis auf den bewaffneten Raubüberfall. Und den hat er auf die Drogen geschoben.«
»Wissen Sie noch, wo er gelebt hat?«
»Wo er gelebt hat?«
»Ich versuche, eine Liste sämtlicher Wohnorte zu erstellen, an denen er als älterer Jugendlicher beziehungsweise Erwachsener gelebt hat.«
»Dallas-Fort Worth. Irgendwo da. Das ist alles, woran ich mich erinnere. Vor dem Raubüberfall war er noch nicht lange in Seattle. Ich weiß nicht, ob er noch irgendwo anders gelebt hat. War’s das?«
»Nun, ich würde gern die Möglichkeit haben, Sie anzurufen und Dinge mit Ihnen durchzusprechen, wie zum Beispiel das mit dem Mädchen. Und ich möchte, dass Sie mich anrufen, falls Ihnen noch etwas einfällt. Ich schätze, das wäre alles«, schloss ich lahm.
»In Ordnung. Das kann ich tun. Meinen Sie, er kommt wirklich frei?«
»Wahrscheinlich«, sagte ich ehrlich. »Ich arbeite daran, aber es sieht nicht gut aus.«
»Er wird hinter mir her sein, falls er rauskommt.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Weil er das jetzt schon ist. Er hält Kontakt«, sagte sie verbittert.
»Das verstehe ich nicht. Sie sind untergetaucht. Ich selbst konnte Sie kaum ausfindig machen. Was meinen Sie damit, dass er Kontakt hält?«
»Er schickt Karten, jedes Jahr zum Jahrestag der Vergewaltigung. Er sendet sie an meine Mutter, aber an mich adressiert.«
»Ihre Mutter? Woher weiß er, wo Ihre Mutter wohnt?«
»Keine Ahnung. Na ja, das stimmt nicht ganz. Ich hätte da schon ein paar Ideen. Er könnte jemand draußen beauftragt haben, sie aufzuspüren, aber wahrscheinlicher ist, dass er die Adresse von einem Mitgefangenen im Bürodienst hat. Ich hatte meine Mutter als Kontaktperson für Notfälle angegeben, die Adresse stand also in meinen Akten. Im Verwaltungsbüro arbeiten Häftlinge. Die Postkarten kommen nicht aus dem Gefängnis. Es sind keine Fingerabdrücke darauf. Ich habe schon versucht zu beweisen, dass sie von ihm sind, aber ich kann es nicht.«
»Aber Sie wissen, dass sie von ihm stammen? Was steht darauf?«
»Nichts. Nur: ›Alles Gute zum Jahrestag‹, oder: ›Ich denke an Dich‹, oder: ›Ich werde unsere schöne Zeit nie vergessen‹. Einfach nur vorgedruckte Karten. Warum, glauben Sie, verstecke ich mich immer noch? Obwohl er im Gefängnis ist, habe ich mich nie sicher gefühlt. Er hätte immer jemand auf mich ansetzen können. Offensichtlich hat er Hilfe, sonst würde ich die Karten nicht bekommen. Inzwischen glaube ich, dass er abwartet und dann persönlich kommt. Er hat
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