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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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dem sie sich die meiste Zeit aufhielt. Ihre wertlose Mutter hatte sich aus dem Staub gemacht, als Sissy noch ein Baby war. Roosevelt war für gewöhnlich zu zugedröhnt, um sie auch nur anständig zu füttern. Sie war immer untergewichtig. So nennen sie das, untergewichtig. Unterernährt. In Wahrheit war sie die meiste Zeit über halb am Verhungern. Sie hat Farbe gegessen, Müll, alles. Man bezeichnet es als Pica-Syndrom, wenn ein Kind alles isst. Niemand will zugeben, dass sie in Wirklichkeit verhungern.
    Wir hatten zahllose Berichte über sie wegen Vernachlässigung. Die Gesetze zum Schutz vor Vernachlässigung sind noch schlimmer als die Kindesmissbrauchsgesetze, und wir konnten keinen einzigen Richter dazu bringen, sie dauerhaft dort rauszuholen. Roosevelt räumte ordentlich auf, wenn es drauf ankam, dann
nahm er sich einen Anwalt, warf sich in Schale, und im Handumdrehen war Sissy zurück.
    Ich habe schließlich beim Kinderschutz aufgehört, weil ich mit all dem nicht mehr fertig wurde. Ich beschloss, Cop zu werden, weil die zumindest nicht versuchen, gewalttätige Familien zu erhalten; sie befördern die Schweine ins Gefängnis. Ich ging auf die Polizeiakademie und trat dann in den Dienst ein. Auf der Akademie lief es wirklich gut, aber danach …« Ihre Stimme verlor sich. »Wie es scheint, hatte ich etwas übersehen. Ich hatte übersehen, dass die Polizei erst ins Spiel kommt, nachdem der Schaden angerichtet ist. Sie verhindert nicht. Sie bestraft nur hinterher die Täter.
    Jedenfalls versuchte ich, nachdem ich in den Dienst eingetreten war, alles über Sissy und die anderen Kinder, mit denen ich beim Kinderschutz zu tun gehabt hatte, zu vergessen. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, war das mit Sissy am schlimmsten. Vielleicht, weil sie eine Kämpferin war. Sie wusste schon mit drei, wie man Dosen öffnet, damit sie an etwas zu essen gelangen konnte. Sie hatten einen Hund, und einmal kam ich dazu, wie sie gerade Trockenfutter direkt aus der Tüte aß. Aber es hat sie am Leben erhalten. Sie kam tagelang allein zurecht, wenn es sein musste. Sie war definitiv eine Kämpferin.
    Jedenfalls hatte ich Roosevelt schließlich am Haken. Wir konnten ihn wegen Erpressung verhaften. Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle. Noch nicht mal Pat Humphrey weiß alles darüber.« Sie holte tief Luft, und ich dachte, sie würde abbrechen, aber das tat sie nicht.

    »Er erpresste Geld von einem Lokalpolitiker, der Drogen nahm. Dieser Politiker war bei der schwarzen Gemeinde sehr beliebt und spielte ernsthaft mit dem Gedanken, für den Kongress zu kandidieren. Ich weiß nicht, ob seine Gefolgsleute sich für die Drogen interessiert hätten oder nicht, aber die sentimentalen weißen Liberalen, die das Geld zur Verfügung stellten, taten das schon. Roosevelt war zwar dumm, aber nicht dumm genug, um das nicht zu wissen.
    Wir hatten ihn am Haken, und wir machten ihn zum Spitzel. Er war verkabelt, wenn er sich mit Leroy traf. Wir wussten bereits, wo die Methamphetamin-Labore waren. Wir würden eine Tonne an Beweisen kriegen.
    Niemand wusste davon. Zumindest dachten wir das. Wir weihten Pat nicht ein und auch sonst niemand - nicht einmal das Erpressungsopfer wusste, dass wir Roosevelt hatten. Roosevelt war kein zäher Bursche wie Leroy oder Daryl. Er war eine Niete. Es war nicht sehr schwer, ihn umzudrehen. Ich glaube, er machte sich nicht mal wirklich Gedanken darüber, was Leroy mit ihm anstellen würde, falls er es herausfand. Das Einzige, woran ich denken konnte, war, dass ich diejenige sein würde, die den großen, bösen Leroy in die Knie zwang. Trash würde untergehen.
    Ich wusste, dass er Roosevelt töten würde, wenn er es herausfand, aber es war mir nie in den Sinn gekommen, dass er Sissy etwas antun könnte. Falls ich irgendetwas dachte, dann, dass Leroy Sissy einen Gefallen tun würde, indem er Roosevelt umbringt. Wissen Sie, das Seltsame ist, dass ich vielleicht in der Lage gewesen wäre,
damit umzugehen. Vielleicht. Aber diese verdammte Puppe brachte das Fass zum Überlaufen.«
    Sie hatte diesen letzten Teil so leise gesagt, dass ich nicht sicher war, ob ich sie richtig verstanden hatte. »Entschuldigung«, sagte ich. »Eine Puppe?«
    »Eine Puppe. Eine verdammte Puppe. Als wir Sissy fanden, hat sie diese Puppe umklammert. Ich weiß nicht, ob sie sie die ganze Zeit bei sich hatte oder ob sie zu ihr gekrochen ist, nachdem sie vergewaltigt worden war. Sie lag in Embryonalstellung um diese Puppe herumgekauert. Sie

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