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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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in LA gewesen war, in derselben Straße wie sie gelebt. Ihre Mutter war auf einen Rollstuhl angewiesen. Amandas Vater hatte eines Tages, während eines banalen Streites, versucht, sie mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Amandas Mutter hatte überlebt, aber sowohl sie als auch Amanda trugen schwere Verbrennungen davon. Ihr Vater kam in eine Psychiatrie und Amanda und ihre Mutter zogen fort. Amandas ganzes Gesicht war entstellt gewesen, weil sie sich schützend vor ihre Mutter gestellt hatte.
    »Puh, zum Glück sind wir nicht vertauscht, mit niemandem«, hatte ich Shar geantwortet und dann hatten wir eine Folge Sex and the City geschaut. Sharoni besaß sämtliche Staffeln und den Kinofilm.
    »Das ist doch … Blödsinn«, sagte ich schließlich leise zu meinem Vater. In meinem Kopf drehte sich ein Gedankenkarussell. Sein Auftritt heute Morgen, all die Stunden, die er weg gewesen war, jetzt dieses verzweifelte Weinen, Amanda Whitman, sein Hannah, Hannah, Hannah, dieses Unglaubliche, das er da behauptet hatte, die beiden Frauen aus dem Fernsehbericht.
    Er gab mir keine Antwort. Sein Schweigen war schlimmer als alles andere.
    »Wie kommst du überhaupt darauf, Abba?«, fuhr ich ihn an. »Wer behauptet so was? Wer? – Weiß Ima etwas davon? Und David? Oder Esther? – Abba! Sag doch etwas, bitte!«
    Und dann begann er zu erzählen, mit leiser Stimme, von den Blutuntersuchungen, von seinem Gespräch mit den Ärzten, von der anschließenden Recherche auf der Geburtsstation, auf der ich zur Welt gekommen war.
    »Ich bin dort gewesen, Augenstern«, flüsterte er heiser. »Es gab an diesem Morgen zwei Kaiserschnitte, fast zeitgleich.«
    »Es ist bestimmt ein Irrtum«, rief ich hinterher aufgebracht. »So was kommt dauernd vor: in Emergency Room, in Grey’s Anatomy, in House – Abba, aus so was machen sie dauernd Storys. Das ist totaler Quatsch. Glaub mir! Ganz bestimmt!«
    Mein Blick blieb an Jonathans Shalom-Bildhängen. Da war ich zwischen meinem älteren Bruder David und Esther. Für alle Haare außer meinen hatte mein kleiner Bruder denselben Filzstift benutzt. Dunkelbraun. Esther hatte er mit dem Löschstift ein paar weiße Fäden hineingemalt. Nur für mich hatte er einen anderen Farbstift gewählt. Ocker? Hellbraun? So etwas in der Art.
    Ich schluckte, mein Mund war trocken, meine Kehle fühlte sich eng an.
    Am Abend kam David nach Hause. Und sogar meine Mutter. Auch Esther gesellte sich zu uns. Alle wussten Bescheid und alle strahlten Unruhe und Nervosität aus. Es war kaum auszuhalten.
    »Wer ist solange bei Jonathan?«, fragte meine Urgroßmutter und trank in kleinen Schlucken Amontillado-Sherry.
    Solange …
    Diese Versammlung fand meinetwegen statt.
    »Hayley und Zvi«, erklärte meine Mutter und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Meine Mutter? Ich keuchte leise. Natürlich, meine Mutter.
    Zvi war der jüngere Bruder meines Vaters und Hayley seine zweite Frau.
    Mein Vater? Mein Onkel? Meine Tanten? Ich fühlte mich fiebrig und schwindelig und zu Unrecht im Rampenlicht. Das war alles nur ein Irrtum und sonst nichts.
    Es war ein warmer Abend. Ein Mückenplageabend. Ich sehnte mich danach, alleine zu sein.
    »Ich möchte nichts mehr von diesem – Blödsinn hören, bitte«, sagte ich darum leise.
    Keiner machte Abendbrot. Wir tranken stattdessen Zitronenlimonade, die meine Mutter im Sommer immer selbst macht, und saßen einfach da.
    »Seit wann wisst ihr – davon?«, fragte David schließlich. Seine Stimme klang rau.
    Eigentlich hatte heute Abend Shar kommen wollen, aber ich hatte ihr abgesagt.
    »Warum? Was ist los?«, hatte sie am Telefon gefragt.
    »Es … ist etwas dazwischengekommen«, erklärte ich.
    »Was? Ist etwas mit Joni?«
    »Nein«, sagte ich schnell. »Nichts Neues von Joni.«
    »Was dann, Hannah?«
    Ich konnte es nicht sagen. Ich benutzte eine Ausrede und vertröstete sie auf den nächsten Tag.
    David wiederholte seine Frage, weil unser Vater stumm vor sich hin sah. Ich sah, wie mein Abba sich einen Ruck gab – und dann erklärte er es ihm.
    »Die täuschen sich«, sagte David hinterher und lächelte mir aufmunternd zu. »Ich meine, das ist doch lächerlich. Wie sollte das denn passiert sein? Ima, du bewahrst doch sogar diese Babynamensschildchen auf, die sie einem nach der Geburt verpassen, oder?«
    Ich hob den Kopf und schaute meine Mutter an. Das stimmte. Es gab diese kleinen Armbänder. Sie klebten in unseren Babyerinnerungsfotoalben. Meines war rosa, Davids und Jonathans hellblau.

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