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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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gab, geübt und konnte jetzt – dem Plastikkopf sei Dank – massenweise beeindruckende Hochsteckfrisuren fabrizieren. – Ich selbst hatte mir so einen Kopf immer gewünscht, aber Rosie weigerte sich. Ein einzelner Schädel, das waren ihre Worte, das ist einfach morbide.
    Kendra selbst würde heute Abend übrigens mit Amywinehouseartig aufgetürmten, toupierten Skandallocken zur Prom schreiten. Ihre Mutter lag aus diesem Grund bereits mit Migräne darnieder.
    »Weißt du, vorhin war ich für einen Moment ziemlich erschrocken«, gestand ich nachdenklich.
    »Du dachtest, es stimmt?«, fragte Kendra mit einem Kamm im Mund.
    »Na ja«, gab ich zu. »Irgendwie klang der Mann nicht irre. Nur nervös.«
    »Irre sind nervös«, erklärte Kendra. »Das ist ihre Mission, Sky. Nervosität, Macht, Angst machen, sich aufgeilen …«
    Ich runzelte die Stirn.
    »Diese Masche war dann aber neu«, sagte ich.
    »Du meinst, weil er nicht über Sexzeug geredet hat?«
    Ich nickte.
    »Vielleicht ein intellektueller Irrer«, überlegte Kendra und verwandelte meine Seetanghaare in Windeseile in einen beeindruckenden Hollywoodlook. Zum ersten Mal machte ich meinem Wohnort wirklich Ehre. Ich grinste mein Spiegelbild an. Hi, Sky.
    Dann hörte ich wieder auf zu lächeln und betrachtete mein heute nicht ganz so vertrautes Gesicht: geschminkt, gestylt, in Schale geworfen. Nicht Amy Winehouse. Eher Cinderella. In Dunkelhaarig.
    Ich hatte Rosies teuerste Ohrstecker in den Ohren: zwei Weißgoldstecker mit kleinen Brillanten. Leek hatte sie Rosie vor ein paar Jahren geschenkt. Außerdem waren da die beiden gelockten Haarsträhnen, die Kendra absichtlich nicht in die Hochsteckfrisur gezwirbelt hatte. Sie ringelten sich vor meinen Ohren.
    Ich sah Rosie nicht ähnlich. Das war ein Fakt.
    Ich sah Leek nicht ähnlich. Auch das war ein Fakt.
    Sah ich Moon ähnlich? Manche fanden das. Aber manche auch nicht.
    »Ein intellektueller Irrer«, murmelte ich vor mich hin.
    Er hatte nicht noch mal angerufen. Er hatte seinen Spaß gehabt. Die Sache war erledigt.
    Vertauscht? Was für ein schlechter Witz!
    Nachdem es Rosie nicht vergönnt gewesen war, mich wie Moon mitten in der Wildnis zu gebären, hatte sie sich dafür – laut Leek – in der Geburtsklinik wie eine Wilde aufgeführt.
    »Du kennst sie ja, Prinzessin«, hatte mein Dad einmal zu mir gesagt. »Sie ist eine Löwenmutter. Sie hat dich keine Sekunde aus den Händen gegeben: wickeln, baden, wiegen, messen. Alles hat sie selbst gemacht – oder stand – beim Blutabnehmen zum Beispiel – wie eine fauchende Löwin dabei. Die Schwestern waren ziemlich ungehalten deswegen. Sie ging ihnen auf die Nerven. So schnell wie möglich haben sie sie aus der Klink herauskomplimentiert und nach Hause geschickt.«
    So war das.
    Man hätte mich gar nicht vertauschen können, ohne zuerst Rosie auszuschalten. Und das hatte nachweislich keiner getan.
    Also war Rosa Luise Lovell, geborene R. L. Marsirske aus Hamburg, meine Mutter. Und sonst niemand. Keiner würde mich von ihr befreien. Und von der Verantwortung für sie.
    Eine halbe Stunde später steckte Gershon mir das obligatorische Ballsträußchen an die Korsage. Moon tat dasselbe bei Kendra.
    »Bei den Moslems wärt ihr jetzt verlobt«, sagte ich zu Moon. »Oder du wärst tot. Ich habe es genau gesehen, wie du Fred berührt hast, als du ihr die Rose angesteckt hast.«
    »Es war nur ein Versehen«, gab Moon grinsend zurück. »Ich bin versehentlich an Fred gestoßen, mehr nicht. – Sorry, alter Freddy.«
    Wir lachten, nur Gershon machte ein verwirrtes Gesicht.
    Und natürlich Oma Dorothea, die nichts verstand, aber nicht weichen wollte. Opa Herrmann hatte sich zum Glück für den Moment auf die Terrasse zurückgezogen.
    Rosie küsste uns alle vier, wünschte uns mit verzagter Stimme viel Spaß und flüsterte mir zu: »Du bist wunderschön, Darling. Ich könnte nicht stolzer sein. – Wünsch mir Glück, dass diese beiden Despoten bald in Richtung Übernachtungsdomizil aufbrechen!«
    Ich lächelte ihr zu. Gute, alte Rosie. Sie war bestimmt nicht die Muttertagsvorzeigemutter, aber sie war trotzdem nicht übel. Und ich liebte sie natürlich.
    Die Prom-Night fand wie jedes Jahr in unserer Turnhalle statt, einem alten, ehrwürdigen Domizil, das dem Aussehen nach aus der Zeit der Pilgerväter stammen musste. Der Rest der Schule bestand aus einem öden Sammelsurium unscheinbarer grauer Pavillons, die im Laufe der Jahre immer mehr geworden waren, aber die alte Turnhalle war

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