Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
in den Wagen. Joshua warf meine Tür zu und knallte seine Tür ebenfalls zu, nachdem er im Auto saß. Das Geräusch ließ mich zusammenzucken.
Joshua sah mich nicht an. Er saß nur da, hatte mit den Händen das Lenkrad gepackt und die Augen auf das Armaturenbrett geheftet. Tiefes Schweigen legte sich über uns. Es schien sämtliche Luft in dem Wagen zu verdrängen und mich dabei zu ersticken. Dann doch lieber Türengeknalle.
» Ich hatte einen Albtraum …«, setzte ich matt an.
» Hast du dich deshalb in Luft aufgelöst?«, zischte er, ohne den Blick vom Armaturenbrett zu wenden.
» Ich habe was getan?«, fragte ich.
» Du bist verschwunden. Gleich nachdem ich dich geküsst hatte. Oder du mich geküsst hattest. Wie auch immer. Wir haben uns geküsst, aber als ich die Augen aufgemacht habe, warst du verschwunden.«
» Joshua, i-ich hatte keine Ahnung, dass das so passiert ist«, stotterte ich. » Dass ich einfach verschwunden bin. Ich weiß bloß, dass ich dich geküsst habe, und dann hatte ich einen Albtraum. Ich bin vor einer knappen Stunde aufgewacht und bin direkt hierher gerannt.«
Endlich drehte er sich zu mir, die Stirn in Falten gelegt. » Was meinst du damit, › Albtraum‹? Hast du schlecht geträumt oder so?«
» Nicht ganz.« Ich sah ihm in die Augen, während ich es erklärte. » Jedes Mal, wenn ich einen Albtraum habe, schlafe ich nicht wirklich. Ich verliere bloß das Bewusstsein und verschwinde – allem Anschein nach – von dort, wo ich mich gerade befinde, wenn der Albtraum einsetzt. Es ist, als fiele ich in Ohnmacht, und dann ertrinke ich ganz plötzlich wieder. Ich nenne es Albträume, weil ich letzten Endes aufwache.«
Joshua schwieg lange. Als er endlich etwas sagte, klangen seine Worte immer noch ungläubig. Doch ich vernahm auch noch etwas anderes in seiner Stimme – Kränkung.
» Aber du bist erst vor einer Stunde aufgewacht?«, fragte er. » Dein Verschwinden ist beinahe einen ganzen Tag her. Wie ist das überhaupt möglich?«
Es fiel mir schwer, normal zu atmen. Ruhig. » Wie schon gesagt, verliere ich manchmal einfach das Bewusstsein. Danach wache ich irgendwo anders auf und anscheinend auch irgend wann anders.«
» Dann … bist du wirklich nicht einfach nur vor mir weggelaufen?«
Der gekränkte Unterton in seiner Stimme war jetzt ganz deutlich zu hören. Da wurde mir klar, dass sein ganzer Zorn wahrscheinlich eine einfache Wahrheit verhüllte: Mein jähes Verschwinden hatte ihn verletzt. Und zwar sehr. Dennoch warf ich die Hände erbost in die Luft, weil er sich stur weigerte, mir zu glauben. » Warum sollte ich vor dir weglaufen wollen, Joshua?«
» Weil ich dich geküsst habe.«
» Ich habe deinen Kuss erwidert«, stellte ich fest und fügte dann hinzu: » Und ich wollte es.«
Joshua schaute misstrauisch, doch als er dann sprach, klang seine Stimme merklich sanfter. » Bist du dir sicher, Amelia?«
Ich nickte nachdrücklich. » Ja! Ja und nochmals ja! Es ist bloß … na ja, ich war ziemlich durch den Wind wegen meiner Eltern, und ich habe wohl die Fassung verloren. Schließlich bin ich ein Geist. Das weißt du doch.«
» Eigentlich«, setzte er zögernd an, » dachte ich irgendwie, dass das vielleicht etwas mit der ganzen Sache zu tun hatte. Als hättest du beispielsweise Angst davor, dass ich dich mit einem Bann belegen könnte.«
Ich blinzelte. » W-was? Hast du denn mit dem Gedanken gespielt?«
» Nein!« Er schüttelte den Kopf und sah überrascht aus. » Auf keinen Fall. Ich dachte bloß, vielleicht hast du dir Sorgen deswegen gemacht.«
» Tja, jetzt schon«, stöhnte ich.
» Hör auf.« Auf einmal klang er eindringlich. » Ich würde das nicht machen, ganz egal, was passiert. Niemand könnte mich dazu bringen.«
Frustriert schnaubte ich. » Tja, wir haben zweifellos so unsere Probleme, nicht wahr?«
Joshua stieß ein verbittertes Lachen aus. » Ja, die Liste ist nicht gerade kurz.«
» Die Albträume stehen auch drauf«, stellte ich fest. » Ebenso der Umstand, dass du mich theoretisch eigentlich mit einem Bann belegen solltest.«
Und vergessen wir Eli nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. Oder meine Unfähigkeit, meiner Mutter zu helfen und meinen Vater vor dem Dunkel zu retten. Oder was passiert, wenn du älter wirst und ich nicht. Oder wenn deine Großmutter irgendwann beschließt, genug ist genug, was mich betrifft …
Für den Moment behielt ich diese Gedanken aber für mich. Laut fügte ich einfach hinzu: » Ich wünschte, ich könnte wieder
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