Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
barsch. »Und, was wollten sie?«
Danach gelang es ihr nicht mehr, sich abzuwenden – sie sah ihn an, doch er mied ihren Blick. Das war der zweite Hinweis, dass etwas nicht stimmte.
»Ja, danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. Und Dad.«
Er legte auf – und Neve wusste, was geschehen war.
»O nein …«
»Dein Chef hat die Presse informiert. Es kam in den Sechs-Uhr-Nachrichten; er sagte, er habe das Rätsel um Berkeleys Identität gelöst.«
»Tim, nein …«
»Beth hat es zufällig gehört und sofort meinen Vater angerufen, um ihn vorzuwarnen – sie war zwanzig Jahre mit mir verheiratet und weiß, was die O’Caseys davon halten, wenn ihre Geheimnisse ausgeplaudert werden. Privatsphäre – Diskretion – das wird bei uns großgeschrieben. Das kannst du dir sicher denken.«
»Aber du sagtest …« Sie war einer Panik nahe. Sie hatte Angst vor dem Geständnis gehabt, aber Tim war so verständnisvoll gewesen und sie hatte gedacht, er hätte ihr verziehen.
»Das Seltsame daran ist, dass ich zuerst dachte, es würde mir nichts ausmachen. Ich war fast erleichtert.«
»Warum ist es dann so schlimm?« Sie ging zu ihm hin, sah ihm in die Augen. »Lass diese Geschichte nicht zwischen uns kommen, Tim. Bitte …«
»Was daran so schlimm ist? Diese Geschichte führt von meinem Onkel direkt zu Frank.«
»Frank?«, fragte sie verwirrt.
»Sogar Beth war davon überzeugt und außer sich – das konnte man ihrer Stimme anhören. Dein Chef hat alles haarklein erzählt und gesagt, mein Onkel sei ein ›Opfer des Krieges‹ gewesen. Die Reporter hatten darauf nichts Besseres zu tun gehabt, als in seiner Akte herumzuschnüffeln und in der meines Vaters. Sie haben mit Sicherheit zwei und zwei zusammengezählt und sind auf die Verbindung unserer Familie zum Krieg gekommen; U-823 ist ein brandaktuelles Thema, das Schlagzeilen macht – laut Beth wurde Landrys große Ankündigung sogar live übertragen.«
»Aber das hat doch nichts mit Frank zu tun …«
»Noch nicht. Aber es kann nicht mehr lange dauern, bis sie auf ihn kommen. In seiner Todesanzeige sind die Namen meines Vaters und meines Onkels erwähnt. Irgendein Reporter wird die Sache ausgraben und sich einen Reim darauf machen, und dann geht alles wieder von vorne los.«
Neve wich von ihm zurück, ihre Arme hingen herab. Ihr war sterbenselend zumute. Am liebsten hätte sie Dominic umgebracht, aber das Ganze war allein ihre Schuld.
»Es tut mir so leid«, sagte sie hilflos.
Tim schüttelte wortlos den Kopf und ging zum Fenster. Sie streckte die Hand aus, hätte ihn gerne berührt, doch er wandte ihr den Rücken zu und starrte hinaus. Das Licht des Mondes wirkte mit einem Mal kalt – ein grelles Licht, das die Nacht erfüllte, die Wellen wie ausgelaufenes Quecksilber überzog.
Auf dem Weg nach draußen nahm sie ihre Handtasche und Jacke, warf einen letzten Blick zu Tim hinüber, aber er drehte sich nicht um. Sie ging zur Küchentür, öffnete sie und trat ins Freie.
Die Luft, zuvor angefüllt mit Frühling und Versprechen, fühlte sich mit einem Mal kalt und klamm an. Nebel stieg über dem Meer auf, hüllte sie mit ihrer Scham und ihrem Schmerz ein. Sie hatte Tim und seiner Familie keinen Kummer zufügen wollen. Doch genau das hatte sie getan, und es gab keine Möglichkeit, es ungeschehen zu machen. Sie stieg in ihren Kombi, ließ den Motor an und fuhr vom Parkplatz, die Augen blind vor Tränen.
Es gibt gebrochene Herzen, die einfach keine Chance haben, zu heilen, dachte sie.
Vor allem, weil sie Tims Herz soeben erneut gebrochen hatte.
19
D er Kran war angekommen, füllte den leeren Hafen von einem Tag auf den anderen. Mickey erschrak, als der Schulbus um die Ecke bog und sie das Ungetüm entdeckte. Der Fahrer machte die Schüler mit einem Ausruf auf den Kran aufmerksam. Er fuhr an den Straßenrand und blieb in der Haltebucht stehen, damit alle einen Blick darauf werfen konnten.
Der Kran war leuchtend gelb, glänzte im Sonnenlicht und spiegelte sich im unbewegten Wasser des Hafens. Er stand auf dem Deck eines Schleppkahns zwischen den Hafendämmen und war so riesig, dass er den ganzen Außenhafen beherrschte. Bedrohlich vor der Küste aufragend, erinnerte er daran, weshalb er geholt worden war, welcher Verlust bevorstand. Als der Busfahrer weiterfuhr, tuschelten die Schüler und drehten sich um, um einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen. Mickey war die Einzige, die ihn keines Blickes würdigte, sondern sich in ihren Sitz kauerte; beim
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