Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
sich an eine ähnliche Situation, die sie selbst miterlebt hatte: Richard war bei einer Verkehrskontrolle herausgewunken worden, und sie hatte im Auto gesessen und zusehen müssen, wie die Polizisten von ihm verlangten, ein Stück geradeaus zu gehen.
»Aber er war nicht betrunken, Mom. Er musste einen Atemalkoholtest machen, und er bestand ihn.«
»Aber sie haben ihn trotzdem mit aufs Revier genommen?«
»Wegen der Unterhaltszahlungen.« Mickey war einem Zusammenbruch nahe. »Der Richter hat doch Haftbefehl gegen ihn erlassen.«
Neve überlegte nicht lange. Sie gab Mickey einen Kuss und ging zum Schreibtisch des Polizisten hinüber. Sie kannte ihn vom Sehen, von Einsätzen bei großen Veranstaltungen in der Schule. Und einmal hatte sie ihn im Lebensmittelgeschäft gesehen, wie er einen Ladendieb abführte. Sie hatten nie miteinander gesprochen, aber sie wusste, dass er sie ebenfalls erkannt hatte.
»Hallo, Sergeant.«
»Hallo, Mrs. Halloran.«
»Wäre es möglich, mit Richard zu sprechen?«
»Im Moment nicht. Er ist dort drinnen.« Der Sergeant deutete auf eine geschlossene Tür. »Er wird gerade vernommen.«
»Ist sein Anwalt bei ihm?«
»Nein.« Der Sergeant war in den Dreißigern, wirkte gedrungen und gepflegt, hatte grau-braune Haare und einen Schnurrbart. Seine braunen Augen sahen sie entschuldigend an. »Er hat den einen Anruf, der ihm laut Gesetz zusteht, anderweitig genutzt.«
Neve hob die Augenbrauen; wen mochte er angerufen haben? Alyssa?
»Er hat mit Senator Sheridan telefoniert«, sagte der Sergeant.
»Er wollte, dass ihn der Senator aus dem Gefängnis holt?«, fragte sie leise, damit Mickey nichts mitbekam. Das war der Gipfel der Selbstüberschätzung.
»Vermutlich. Er hat das Gespräch über unsere Privatleitung geführt.«
»Ich möchte, dass Sie das Verhör sofort unterbrechen.«
»Von einem Verhör kann keine Rede sein, Madam. Wir wollen ihn nicht bedrängen, glauben Sie mir. Aber der Richter hat einen Haftbefehl erlassen, deshalb sind wir gezwungen, ihn in Untersuchungshaft zu nehmen. So will es das Gesetz. Er wird eine gesalzene Kaution auf den Tisch blättern müssen, bevor …«
»Dann unterbrechen Sie eben die Vernehmung.«
»Entschuldigung, Ma’am?«
»Tun Sie es, auf der Stelle. Laut Gesetz müssen Sie mit der Vernehmung warten, bis sein Anwalt eintrifft.«
»Mrs. Halloran, er hat um keinen Anwalt gebeten.«
»Dann tue ich das hiermit, in seinem Namen.«
Der Sergeant sah verdutzt aus. »Der Haftbefehl wurde wegen der versäumten Unterhaltszahlungen erlassen. Ich dachte, Sie wären froh, dass wir ihn in Gewahrsam haben und das Geld für Sie eintreiben können. Der Lexus, den er fährt, ist ein sündhaft teures Auto – wir beschlagnahmen ihn und der Verkaufserlös …«
»Der Name seines Anwalts lautet Jim Swenson – seine Telefonnummer ist mir nicht bekannt, aber seine Kanzlei befindet sich in Westerly.«
»Na gut.« Der Sergeant schüttelte den Kopf, als ginge die Denkweise von Ex-Frauen über sein Begriffsvermögen. Er benutzte die Wechselsprechanlage und sagte seinem Kollegen, der die Vernehmung durchführte, dass sich Richards Anwalt auf dem Weg befand; dann schlug er im Telefonbuch nach, kritzelte eine Nummer auf ein Blatt Papier und reichte sie Neve mitsamt dem Telefon.
Sie sprach mit Jims Assistenten. Zuerst wollte der junge Mann Neves Anruf nicht entgegennehmen – sie repräsentierte schließlich die Gegenpartei. Doch sobald sie die Situation erklärt hatte, dankte er ihr und versprach, Jim umgehend Bescheid zu sagen.
Neve drehte sich zu Mickey um und bedeutete ihr mit einer Geste, aufzustehen, damit sie nach Hause fahren konnten.
»Ich gehe nicht«, erklärte Mickey. »Nicht ohne Dad.«
»Mickey, sein Anwalt ist bereits unterwegs.«
»Das ist mir egal. Ich bleibe so lange, bis sie ihn freilassen.«
»Mickey, das werden sie. Sein Anwalt bringt die Sache in Ordnung … Komm, ich fahre dich nach Hause. Ich muss in die Galerie zurück.«
»Fahr ruhig.« Mickey verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bleibe.«
Neve setzte sich neben sie und sah ihrer Tochter in die grünen Augen. Sie sah Entschlossenheit und Wut in ihnen, den Sturm, der sich anbahnte. Sie hätte sie am liebsten in die Arme genommen und ihr gesagt, dass sich manche Kämpfe nicht lohnten. Richard schien sein Leben um jeden Preis ruinieren zu wollen – sein Alkoholproblem war ein Trauma, ein Kampf, den sie früher einmal selbst zu ihrer Aufgabe gemacht hatte. Und nun tat ihre
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