Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
sie. Joe wusste, dass sie ein Talisman seiner Familie war, genau wie seine Uniformmütze und die Orden, die den Seeleuten im Zweiten Weltkrieg verliehen wurden: Das Navy Cross, die Distinguished Service Medal, der Silver Star und der Bronze Star.
Früher, als Tim ein kleiner Junge gewesen war, hatte Joe sie versteckt. In einer Schublade im Lagerraum, aus den Augen, aus dem Sinn. Eines Tages, als er von der Arbeit oder aus irgendeiner Bar nach Hause gekommen war, hatte er Tim dabei erwischt, wie er in der Schublade stöberte, die Orden anprobierte und die Inschriften las. Die einzige Medaille, die Joe offen gezeigt hatte, war die mit der Jungfrau Maria, weil er sie niemals abgenommen hatte.
»Warum willst du sie ins Wasser werfen?«, fragte Tim.
»Weil sie dorthin gehört.«
»Als Opfergabe für deine Mannschaft? Für Johnny und Howard?«
Joe starrte auf die Oberfläche des Wassers. Er dachte an die Schlacht zurück, die sich in diesem Monat zum einundsechzigsten Mal jährte. Für ihn war es, als sei es erst gestern gewesen. Er spürte noch heute den Adrenalinschub, eine machtvolle Mischung aus Angst und Mut. Er roch das Schießpulver, sah den schwarzen Kommandoturm – in dem schicksalsträchtigen Moment, als das U-Boot auftauchte. Er hatte seinem Feind von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, als die Geschütze abgefeuert wurden und Johnny und Howie starben.
»Dad?«
Joe hatte nie größere Wut und Trauer empfunden. Zwei seiner Männer waren tot und das U-Boot griff die Küste seiner Heimat an. Er sah, wie das schwarze Monster auf Tauchstation ging, und Blasen stiegen an die Oberfläche, als wollte es sich über die USS James lustig machen. Diese Luftblasen hatten ihm den Rest gegeben – der Gedanke, dass die Angreifer lebten und atmeten, während zwei seiner Männer getötet worden waren.
Alles, wofür Amerika stand, war ihm durch den Kopf gegangen, und er wusste in diesem Moment, dass er zurückschlagen und das U-Boot zerstören würde, mit Mann und Maus. Es war ihm ein persönliches Bedürfnis, als würde er einen Mord rächen. Sie waren sein Gegner, der Feind all dessen, was gut und anständig und unschuldig war, was als unantastbar galt, nicht nur auf Rhode Island, sondern auf der ganzen Welt.
Deshalb hatte er den Befehl zum Angriff gegeben, eiskalt, aber gerechtfertigt. Alle Waffen, die die USS James aufzubieten hatte, jedes Gramm Feuerkraft, jedes Quentchen Mut, den seine Männer besaßen. Diese Nazis, diese Möchtegern-Herrscher der Meere, hatten 1942 den Atlantik überquert, um Handelsschiffe aufzubringen, der Schifffahrt zu schaden und sie zu zerstören, ein Massaker unter den amerikanischen Besatzungen anzurichten; aber jetzt, am 17. April 1944, würde Commander Joseph O’Casey diesem Treiben ein Ende setzen.
Und genau das hatte er getan.
Die Öllache an der Wasseroberfläche sprach Bände. Er hatte sein Ziel erreicht. Die deutsche Offiziersmütze und die Bruchstücke des Kartentischs waren eine zusätzliche Bestätigung. Aber für Joe reichten sie nicht aus – er dachte an Johnny und Howie, an Damien, der Einsätze über Deutschland flog, und an das Schicksal der ganzen Welt und hatte bis zum bitteren Ende weiter bombardiert.
Noch eine, hatte er sich gesagt und befohlen, die nächste Wasserbombe abzufeuern. Und noch eine. Die Einschläge, die einen Kreis bildeten, die Öllache, die sich ausbreitete. Und weiter. Bis die Munition zu Ende war und diese Teufel erhalten hatten, was sie verdienten.
An diesem Frühlingstag hatte das Wetter verrückt gespielt. Bei Sonnenaufgang war der Himmel klar gewesen, aber plötzlich waren Wolken heraufgezogen und heftige Schneefälle hatten eingesetzt. Joe hatte zum Himmel emporgeblickt – nach stundenlangem Kampf und Bombenhagel – und gesehen, wie die Schneeflocken fielen. Es dauerte nicht lange, da lag der Strand unter einer weißen Schneedecke begraben. Und mit einem Mal hatte er die Schwäne entdeckt.
Schwäne am Rande des Wassers. Ohne zur Kenntnis zu nehmen, was ringsum vor sich ging, in den Untiefen nach Nahrung suchend, mit glänzendem Gefieder, weißer als der Schnee. Joe hatte an seinen Bruder gedacht: Wenn Damien hier wäre, um das zu malen. Berkeley – sein sanfter, sensibler Bruder. Warum waren sie nicht gemeinsam am Hanging Rock? Oder hier, am Refuge Beach?
Refuge Beach … der Name bedeutete Zuflucht; erschrocken ließ er das Ruder los. In diesem Bruchteil von Sekunden war das Schiff praktisch führerlos gewesen. Seine
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