Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Erinnert sie zu sehr an meinen Dad.«
»Ich glaube, das kann ich verstehen«, erwidere Mickey. Obwohl sie es nicht verstand, nicht wirklich; sie hatte gerade einen ihrer »Es ist zehn Uhr abends, wissen Sie, wo sich Ihre Kinder gerade aufhalten?«-Momente. Außer, dass sie das Wort »Kinder« durch »Eltern« ersetzt hätte. Man musste aufeinander achten, besonders auf diejenigen, die man liebte.
Sonst konnte es passieren, dass sie einem entglitten. Wie Damien seinen Töchtern und ihr Vater ihr entglitten war. Und es würde nicht mehr lange dauern, bis es auch bei Shanes Mutter so weit war.
»Ich bin hier.« Sie drückte seine Hand.
»Ich weiß.« Er lächelte.
»Geh da runter und mach gute Fotos, damit niemand vergisst, was hier stattgefunden hat.«
»Die Schlacht von Rhode Island.« Shane blickte aufs Meer hinaus. »Unmittelbar vor unserer Küste. Mit dem Mann tauchen zu gehen, der das U-Boot versenkt hat, wird seltsam sein.«
»Joe.«
»Ja.« Shane blickte zu den beiden O’Caseys hinüber, die beisammenstanden. Wenn er die beiden Väter ansah, vermisste er seinen Vater genauso wie sie ihren?
»Das wird auch für ihn ein besonderer Tag«, sagte Mickey.
»Er wäre noch besser, wenn unsere Eule …«
Mickey nickte. Mitten in der Nacht hatte das Männchen aufgehört zu fliegen. Es hatte sich in eine Ecke des Käfigs verkrochen, mit hängendem Flügel, als hätte es sich zu viel zugemutet. Das Weibchen hatte sich zu ihm gesellt und ihn lautlos geputzt. Joe hatte sie damit getröstet, dass Heilungsprozesse ihre Zeit bräuchten und sie das nicht als Rückschlag sehen sollten.
»Alles zu seiner Zeit«, sagte sie zu Shane, sich an Joes Worte erinnernd. »Heute gehst du tauchen.«
»Ich bringe gute Fotos mit«, versprach er und küsste sie.
Sie umarmte ihn und dachte an die Schlachten, die kleinen und großen, die gewonnenen und verlorenen, wie den Kampf um das U-Boot, der verloren schien. Sie sah ihm nach, als er in die Parkwächterstation lief, um seinen Neoprenanzug anzuziehen, sich statt aufs Wellenreiten auf den Tauchgang vorzubereiten, zum Wrack des U-Boots U-823.
Der Tag war frisch und wolkenlos – es ging kaum ein Wind und das Meer war spiegelglatt. Joe saß am Ruder des großen Luftkammerbootes und fuhr Tim und Shane zum Wrack hinaus. Er trug seine alte Mütze, die er auf der Kommandobrücke der USS James an dem Tag getragen hatte, als er gegen U-823 gekämpft hatte. Sie gab ihm das Gefühl, wieder jung zu sein, füllte seinen Mund mit dem Geschmack des Meeres und ließ die Erinnerung wiederaufleben, wie es war, ein Schiff zu befehligen. Nur heute war die Frage, wer wem Befehle erteilte.
»Wir sind da«, sagte Joe.
»Dad, das Wrack befindet sich einige hundert Meter weiter östlich.«
»Nein, Mann. Ihr Dad hat recht«, meinte Shane.
Tim warf dem Jungen einen vernichtenden Blick zu. Joe bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken. Er war völlig überrascht gewesen, als Tim heute Morgen anrief und ihn bat, das Boot zu fahren, das sie zum Tauchen hinausbringen sollte. Es war lange her, seit sie gemeinsam auf dem Wasser gewesen waren. Als Frank im Teenageralter war und mit dem Tauchen begonnen hatte, waren sie ständig draußen – drei Generationen der O’Caseys, ausnahmslos Wasserratten.
Als Frank älter wurde und sein Großvater und er sich durch Gespräche über U-823 und die Schlacht von Rhode Island näherkamen, hatte Tim sich zurückgezogen. Vielleicht hegte er einen heimlichen Groll, weil sein Vater es versäumt hatte, solche Gespräche mit ihm zu führen, als er im gleichen Alter war; was auch immer der Grund war, der Riss in der Beziehung hatte sich vertieft, war unüberbrückbar wie der Marianengraben geworden – die tiefste ozeanische Rinne der Welt. Deshalb war der heutige Tag für Joe umso wichtiger.
Ganz zu schweigen davon, dass es ein Vergnügen war, Tim
in Shanes Begleitung zu sehen. Nicht, dass irgendjemand Frank ersetzen könnte – allein der Gedanke würde ihm das Herz zerreißen. Doch zu sehen, wie sein Sohn auf einen anderen jungen Mann zuging, wie er sein Wissen und seine Liebe zum Meer mit ihm teilte, war ein gutes Gefühl. Deshalb hörte er dem Wortwechsel der beiden mit einem heimlichen Lächeln zu.
»Als Park-Ranger muss ich wohl am besten wissen, wo das U-Boot liegt, vor allem, weil mein Vater es versenkt hat.«
»Mr. O’Casey, bei allem Respekt, ich surfe jeden Tag hier draußen. Es liegt in dem Stück – die Wellen bäumen sich direkt über dem
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