Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
doch er schwamm geradewegs hindurch, ohne zu zögern. Mickey verspürte mit einem Mal einen Adrenalinschub, ihre Kräfte kehrten zurück, und sie begann zu schwimmen. Ihre Züge wurden stärker und die Gischt brannte in ihren Augen, doch ihre Tränen spülten sie hinweg und ihr Lebenswille siegte.
Als sie das rettende Ufer erreichten, wurden sie von den Jugendlichen umringt, die sie mit vereinten Kräften an Land zogen. Tripp legte eine Decke um Mickeys und Shanes Schultern. Shane hielt sie umfangen, vergewisserte sich, dass sie es aus eigener Kraft über die Gezeitenlinie schaffte, und ließ sie sanft zu Boden gleiten, als er bemerkte, dass ihre Beine plötzlich nachgaben.
Mickey glaubte ein leises Weinen zu vernehmen, wie eine Meeresbrise, die durch das Gehölz am höchsten Punkt des Strandes hinter den Dünen strich. Sie klammerte sich an Shane und sah, dass es von ihm kam.
»Ich hatte Angst, dich auch noch zu verlieren.« Sein Blick verriet ihr, dass er seinen Vater meinte. »Ich dachte, du wärst ertrunken …«
»Wäre ich auch«, flüsterte sie. »Wenn du mich nicht gerettet hättest.«
Sie hielten sich in den Armen, umringt von den anderen. Von Josh war weit und breit keine Spur zu sehen, aber Jenna kam angerannt.
»Mickey, Gott sei Dank, du lebst«, keuchte sie. »Danke, Shane, dass du sie gerettet hast.«
Shane wischte nur die Tränen weg und sah Mickey an. Jenna tippte Mickey auf die Schulter.
»Die Eule. Sie lebt noch«, sagte sie.
Shane nickte – als ahnte er, dass Mickey diese Bestätigung brauchte, um zu wissen, dass alles in Ordnung war. Er blickte ihr unverwandt in die Augen, um sicherzugehen, dass sie wach und bei Bewusstsein blieb, keinen Schock hatte. Die Gesichter der deutschen Besatzungsmitglieder tauchten in ihrem Blickfeld auf, kamen auf sie zu – waren sie an Land? Waren sie ihr gefolgt? Zitternd blinzelte sie, verbannte das Schreckensbild. Dann nickte sie Shane zu, um ihn wissen zu lassen, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte.
»Wir müssen sie zu dem Ranger bringen«, sagte Shane.
»Mr. O’Casey«, rief Mickey und war bereits auf den Füßen.
8
T im hatte sich auf der schmalen Pritsche ausgestreckt und las. Er war voll angekleidet – trug seine Uniform, einschließlich der Stiefel – und warf hin und wieder einen Blick auf die Uhr. Es war halb elf und der Wind ließ nach. Er hatte gesehen, wie die Jugendlichen vor zwei Stunden querfeldein an den Strand fuhren; bis elf würde er sie gewähren lassen, dann würde er sich auf den Weg machen und die Party beenden. Er fragte sich, ob Mickey Halloran unter ihnen war, und ob ihre Mutter als Teenager auch an winterlichen Strandpartys teilgenommen hatte.
Bis heute hatte sich nichts geändert: Er kannte Strandpartys noch aus seiner eigenen Jugendzeit. Bei Frank und seinen Freunden war es keinen Deut anders gewesen; die Geschichte wiederholte sich, das war nun mal der Lauf der Welt. In seiner Anfangszeit als Parkranger hatte er Zusammenkünfte dieser Art gesprengt, bevor sie auch nur begonnen hatten. Inzwischen war er solcher Erziehungsmaßnahmen müde – oder er war mit den Jahren einfach klüger geworden. Er hatte gelernt, die Jugendlichen so zu nehmen wie sie waren; sie mussten ihren eigenen Weg gehen. Er hatte es auf die harte Tour erfahren müssen: Sie würden es sowieso tun.
Vielleicht sollte er Neve Halloran anrufen und mit ihr darüber sprechen, sie fragen, was sie dazu meinte. Seine Gedanken drehten sich ständig um sie, obwohl er nicht genau wusste, wieso. Es hatte an dem Tag begonnen, als er ihr zum ersten Mal begegnete, in der Klinik, als er darauf gewartet hatte, dass Mickey vom Röntgen zurückkehrte. Es hatte mit seiner Vorstellung einer intakten Familie zu tun – Eltern, Kinder, liebevolle Zuwendung –, mit einer Nähe, die längst aus seinem Leben verschwunden war. Drei Männergenerationen der Familie O’Casey – Joe, Tim und Frank – hatten den Weg zueinander verpasst.
In dem Moment hörte er, wie ein Auto das Naturschutzgebiet verließ – vielleicht war die Party vorzeitig beendet worden. Der Wind hatte nachgelassen, aber die Temperatur war noch weiter zurückgegangen. Eine Kaltfront zog herauf, die neue Schneefälle ankündigte. Die jungen Leute waren heute nicht mehr so hart im Nehmen wie zu seiner Zeit – Shane ausgenommen. Sosehr sich Tim auch dagegen sträubte, ein gutes Haar an diesem Burschen zu lassen, der nichts als Ärger machte – seine Zähigkeit nötigte ihm Respekt
Weitere Kostenlose Bücher