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Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Titel: Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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ein stumpfes Gelb, nur wenige Zentimeter von ihren eigenen Augen entfernt.
    Mickey spürte, wie Josh Schwung holte – genau wie mit dem Treibholz. Einmal, zweimal, dann ließ er los – warf das Bündel mit Mickey und der Eule in hohem Bogen in die Luft. Einen Moment lang dachte sie, dass doch noch alles gut werden würde; sie würde versuchen, auf den Füßen zu landen, die Eule festhalten und verhindern, dass sie beide mit voller Wucht auf den Sand prallten. Im letzten Moment gelang es der Eule irgendwie, den unverletzten Flügel auszubreiten und sich von der Decke zu befreien.
    Eine Sekunde lang empfand Mickey ungeheure Freude – die Eule war in Sicherheit. Doch dann spürte sie, dass es keine Stelle gab, um auf den Füßen landen zu können, nur den Schock, als sie ins kalte Wasser fiel, eisiger als sie es sich jemals vorgestellt hätte. Es verschlug ihr den Atem, sie bekam keine Luft mehr, schluckte eiskaltes Salzwasser. Ihre Stiefel füllten sich, zogen sie nach unten. Sie kämpfte, um sich aus der bleischweren Decke zu befreien, die sie wie ein Anker direkt auf den Grund zog. Sie versuchte, die Stiefel abzustreifen, aber sie saßen fest – das Wasser hatte sie versiegelt, ein Vakuum zwischen Gummi und Haut gebildet –, waren nur noch Ballast.
    Mickey hielt die Luft an. Sie würde sterben, würde unaufhaltsam nach unten sinken. Ihre Gedanken überschlugen sich. Der Sturm auf hoher See hatte riesige Wellen erzeugt, eine Brandung, aus der es kein Entrinnen gab. Die Wassermassen drückten sie tiefer und tiefer in den Sand hinab. Als ihr Blick in die Tiefe fiel, sah sie das U-Boot – sie war sich ganz sicher –, ein dunkler Schiffsrumpf direkt unter ihr, die deutschen Besatzungsmitglieder mit ihren bleichen Gesichtern spähten aus dem Kommandoturm, winkten sie zu sich.
    Gesichter aus Fleisch und Blut, mit unterschiedlichen Zügen; sie blickte von einem zum anderen, flehte lautlos um Hilfe – würde man sie angreifen? Plötzlich entdeckte sie eine weitere Silhouette, die hinabtauchte, in ihre Richtung – ein Hai, ein dunkler verschwommener Fleck. Er schwamm pfeilschnell. Sie spürte Arme, die sie umschlangen – und schlug wild um sich, desorientiert, versuchte die Eule zu finden, versuchte gegen die Schattengestalt anzukämpfen, die sich ihrer bemächtigt hatte, die sie ertränken wollte, um zu vollenden, was Decke und Meer nicht auf Anhieb gelungen war. Sie kämpfte mit aller Kraft, versuchte, die salzige Dunkelheit zu durchdringen, und erspähte plötzlich Augen, die ihr vertraut vorkamen.
    Sie glichen Shanes Augen: es war Shanes Vater! Er war gekommen, um ihr die Angst vor dem Tod zu nehmen. Sie schauderte, dann gab sie den Kampf auf. Sie war bereit, mit ihm zu gehen. Ihre Lungen brannten, als würden sie jeden Moment bersten. Das war das Ende. Sie öffnete den Mund und stieß den letzten Rest Luft aus, sah zu, wie Blasen über ihre Lippen perlten.
    Und plötzlich spürte sie Shanes Lippen auf ihrem Mund. Shane, der ihr mit einem Kuss Leben einhauchte, ihr Kraft verlieh, sie wissen ließ, dass sie durchhalten musste. Er schlang seine Arme um sie, hielt sie eng an sich gepresst und brachte sie langsam nach oben. Als sie die Oberfläche durchbrachen, schluckte sie Wasser und Luft. Der Kampf unter Wasser war ein Kinderspiel gewesen im Vergleich zu der Herausforderung, der sie sich nun gegenübersahen: Sie waren in der Brandung gefangen, in den Sturmwellen, die mit mörderischer Wucht das Ufer peitschten.
    »Halt dich an mir fest«, schrie er. »Nicht loslassen, egal was passiert.«
    »Die Männer, da unten …« Sie waren kreidebleich gewesen, auf sie zugekommen, und sie erinnerten Mickey an etwas anderes: etwas Weißes, hoch in den Lüften, das auf die Erde herabgestürzt war.
    »Die Eule!«, schrie sie und machte Anstalten, wieder hinunterzutauchen.
    »Sie ist in Sicherheit, an Land.« Er zog sie mit sich, stützte sie, während er mit kräftigen Beinbewegungen das eisige Wasser durchpflügte. »Dort müssen wir auch hin.«
    Mickey hustete, erstickte fast an dem Schwall Wasser, den sie geschluckt hatte.
    »Mickey, bleib bei mir!«, schrie Shane.
    »Er hat sie umgebracht«, schluchzte sie und schluckte abermals Wasser.
    »Mickey.« Seine Stimme war sanft, doch sein Griff hart wie ein Schraubstock. Er ließ sie weinen, schleppte sie unbeirrt in Richtung Strand. Ihr gebrochenes Handgelenk fühlte sich taub an, ihre Beine waren zentnerschwer. Die Wellen türmten sich wie eine Wand vor ihnen auf,

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