Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
dachte sie, und musterte ihre Tochter verstohlen.
»Da passiert schon nichts!«
»Genau«, erwiderte Neve nachsichtig, als Mickey ihrem Zorn Luft machte. Sie wartete, bis Shane eingestiegen war, bevor sie den ersten Gang einlegte.
Sie fuhren auf der gewundenen Landstraße nach Süden, an Bäumen mit kahlen Zweigen vorüber, die im Wind hin und
her schwankten. Die Morgensonne schien durch das Geäst, warf Lichtreflexe auf die Straße. Neve ging im Geiste die Papiere durch, die sie in ihre Aktentasche gestopft hatte, hoffte, dass sie genügend Material für einen guten Katalog hergaben. Sie wollte Dominic di Tibor beeindrucken, damit er ihr eine Gehaltserhöhung gab; die letzte hatte er ihr vor einem Jahr bewilligt und ohne Richards Kindesunterhalt wusste sie langsam nicht mehr, wie sie die Rechnungen bezahlen sollte.
Mickey und Shane reichten Papiere hin und her, offenbar hatten sie ein ganzes Bündel Unterlagen zusammengestellt. Es erinnerte sie an ihre Arbeit für den Katalog.
»Was habt ihr denn da?«
»Wir haben etwas gefunden, was Mr. O’Casey interessieren dürfte«, erwiderte Mickey geheimnisvoll; ihr kühler Tonfall deutete darauf hin, dass dies die Retourkutsche für Neves striktes Verhalten in Bezug auf Shane war.
»Ich weiß, du hast erwähnt, dass ihr ihm damit helfen wollt, das Problem mit dem Strand und dem U-Boot zu lösen. Und was glaubt ihr damit zu bewirken?«
»Das habe ich dir bereits gesagt – wir werden Mr. Landry das Handwerk legen.«
»Wir wollen, dass das U-Boot hierbleibt«, fügte Shane vom Rücksitz aus hinzu.
»Und wir glauben, dass Mr. O’Casey mit diesen Papieren die Behörden überzeugen kann, es an Ort und Stelle zu lassen«, sagte Mickey.
Neve sah ihre Tochter an, gab ihr zu verstehen, dass sie mit ihrer Geduld langsam am Ende war und wurde mit einem aufgeregten Lächeln belohnt. Mickey war noch nie in der Lage gewesen, ihr lange etwas zu verheimlichen.
»Na gut, das ist die Namensliste der U-Boot-Besatzung. Wenn die Behörden sehen, dass es sich um Menschen aus Fleisch und Blut handelt, die Familie hatten, werden sie es sich vielleicht anders überlegen.«
Neve sah den Gefühlsaufruhr im Gesicht ihrer Tochter. »Wieso?«
»Weil es nicht um irgendwelche unbekannten Toten geht, sondern um bestimmte Menschen, die dort ihr Leben verloren haben«, erwiderte Mickey leise, den Blick auf die Papiere in ihrem Schoß gerichtet.
Neve verspürte einen Anflug von Stolz auf ihre mitfühlende Tochter. Sie überquerte die Route I und fuhr den Strandweg hinunter, der zum Refuge Beach führte, vorbei an den Sommerhäusern, die um diese Jahreszeit noch unbewohnt und verschlossen waren. Mickey und Shane unterhielten sich leise miteinander, schlossen Neve aus. Es machte ihr nichts aus, sie war immer tief berührt von der Art, wie Mickey sich mit Herz und Verstand für andere einsetzte. Sogar jetzt, wo sie sich Sorgen um Richard machte.
Kaum hatte sie auf dem Parkplatz angehalten, sprangen die beiden auch schon hinaus, liefen die Stufen empor und klopften an die Tür der Station des Parkwächters. Sie ließ den Motor laufen, die Heizung eingeschaltet. Ihre Hände umklammerten das Lenkrad und sie beobachtete die Tür genauso gespannt wie die beiden. Trotz der Unberechenbarkeit, die er ihr gegenüber an den Tag legte, hatte Tim O’Casey Mickey immer fürsorglich und aufmerksam behandelt. Aber es war noch früh – war er überhaupt schon aufgestanden? Würde er es übelnehmen, so überfallen zu werden, ohne telefonische Vorankündigung?
Die Tür ging auf, und er stand auf der Schwelle – in T-Shirt und Trainingshosen, genau wie letztes Mal. Seine Haare waren zerzaust, als wäre er draußen im Wind gewesen. Beim Anblick der beiden Jugendlichen lächelte er und sein Lächeln wurde noch breiter, als sein Blick über den Parkplatz auf sie fiel. Er winkte.
Neve winkte zurück.
Er bedeutete ihr mit einer Handbewegung, zur Tür zu kommen, aber sie schüttelte den Kopf.
Sie umklammerte das Lenkrad, beobachtete, wie Mickey und Shane ihm die Papiere aushändigten, eifrig auf ein bestimmtes Blatt deuteten und er sich hinunterbeugte, um es zu lesen. Er schien völlig versunken in die Lektüre; Neve starrte gebannt auf seine Schultern. Drahtig und muskulös, füllten sie das marineblaue T-Shirt, und je länger ihr Blick darauf verweilte, desto mehr verblasste der Gedanke, dass sie zu spät zur Druckerei kommen würde.
Von dem Ordner aufblickend, legte Tim seine Hand auf Shanes Schulter
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