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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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genau wusste, was das war) weiß ich, dass es so funktioniert: Man muss Opfer bringen.
    Ich fahre auf den klatschnassen Seitenstreifen der Route 9 und greife wieder nach Izzys Sweatshirt, das jetzt völlig durchweicht ist. Es ist trotzdem besser als nichts. Ich bedecke meinen Kopf damit, steige aus und halte einen Augenblick inne. Die Straße ist leer, schwarze Abschnitte werden unterbrochen von Flecken aus schwachem gelbem Licht von den Straßenlaternen. Ich versuche die genaue Stelle zu finden, an der Lindsays Auto in jener ersten Nacht von der Straße geschleudert ist, aber es sieht alles gleich aus. Es könnte überall gewesen sein. Ich schließe die Augen und versuche mich wieder einmal an irgendein Leben jenseits des Unfalls, der Dunkelheit, zu erinnern, aber da ist nichts. Und als ich die Augen öffne, ist dort einfach die Straße,die im Regen glitzert, schlicht und normal und unauffällig wie jede andere Straße mitten in einer Kleinstadt mitten in irgendeinem Staat an der Ostküste eines Landes.
    Ich hole eine Taschenlampe aus dem Kofferraum und mache mich auf den Weg durch den Wald.
    Es ist weiter, als ich dachte, und der Boden ist abwechselnd eine dünne Schicht Eis und eine schmatzende Masse, die wie Treibsand an meinen lila New-Balance-Turnschuhen zieht. Nach ein paar Minuten kann ich das entfernte Hämmern der Musik von der Party hören, die durch die Dunkelheit dröhnt, als gehörte sie hierher, als wäre ihr Rhythmus Teil der Nacht, aber es dauert noch mal zehn Minuten, bevor ich das schwache Glitzern der Lichter sehe, die gelegentlich zwischen den Bäumen aufblitzen – Gott sei Dank, ich dachte schon, ich würde im Kreis gehen –, und dann noch mal fünf, bevor der Wald sich lichtet und ich das Haus sehen kann, ein riesiges Stück Eistorte, das dort auf dem Rasen sitzt und im Regen, der das Licht von der Veranda bricht, schimmert. Mir ist eiskalt und ich bereue meinen Entschluss, zu Fuß herzukommen, enorm. Das ist das Problem mit Opfern. Sie sind einfach höllisch anstrengend.
    Sobald ich durch die Tür trete, fangen zwei Mädchen an zu kichern und eine ganze Gruppe Elftklässler reißt gleichzeitig die Münder auf. Ich nehme es ihnen nicht übel. Ich weiß, dass ich total scheiße aussehen muss. Ich habe mir noch nicht mal die Zeit genommen, mich umzuziehen, bevor ich das Haus verlassen habe, und trage daher immer noch die übergroße Velours-Jogginghose, die Mom mir mal geschenkt hat, als so was noch in war.
    Ich verschwende meine Zeit jedoch nicht mit den Elftklässlern. Ich mache mir schon Sorgen, dass ich zu spät komme.
    Tara kommt die Treppe herunter, als ich mich nach oben drängele, und ich packe sie am Arm und beuge mich zu ihr. »Juliet Sykes!« Ich muss es schreien.
    Â»Was?«, schreit sie lächelnd zurück.
    Â»Juliet Sykes! Ist sie hier?«
    Tara tippt sich ans Ohr, um mir zu verstehen zu geben, dass sie mich nicht hören kann. »Suchst du Lindsay?«
    Courtney, die hinter Tara steht, beugt sich vor und legt ihr Kinn auf Taras Schulter. »Wir haben den Geheimvorrat entdeckt – Rum und so Zeug. Tara hat eine Vase runtergeschmissen.« Sie kichert. »Willst du was?«
    Ich schüttele den Kopf. Ich war noch nie so nüchtern in der Gegenwart von Leuten, die so zugedröhnt waren, und ich hoffe, dass ich nicht halb so nervig bin wie sie, wenn ich betrunken bin. Ich steige weiter die Treppe hoch und Tara ruft hinter mir her: »Lindsay ist hinten.«
    Bevor ich ganz außer Hörweite bin, höre ich Courtney kreischen: »Hast du gesehen, was sie anhat?«
    Ich atme tief durch und sage mir, dass es darauf nicht ankommt. Worauf es ankommt, ist Juliet zu finden. Wenigstens das kann ich tun.
    Aber mit jedem Schritt verliere ich mehr und mehr die Hoffnung. Im Flur oben ist es brechend voll und wenn sie nicht davon abgesehen hat, zur Party zu kommen – was wohl zu viel gehofft wäre –, ist es wahrscheinlicher, dass sie längst weg ist.
    Trotzdem drängele ich weiter, bis ich schließlich das letzte Zimmer erreiche. Lindsay kommt auf mich zugeschossen wie eine Granate, sobald ich den Raum betrete – sie springt geradezu über fünf Leute hinweg –, und einen Augenblick lang bin ich so froh, sie zu sehen, fröhlich und betrunken und meine beste Freundin, und eine ihrer berühmten Quetsch-Umarmungen abzukriegen, dass ich

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