Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
und das lenkt mich ab. »Ich fürchte, Juliet Sykes ist im Bad eingeschlossen.« Gleich nachdem ich es gesagt habe, zucke ich zusammen. Es hört sich lächerlich an. Wahrscheinlich sagt er mir gleich, ich sei verrückt. SchlieÃlich weià er nicht, was ich weiÃ.
Das Funkeln verschwindet und sein Gesicht wird ernst. Er macht einen Schritt an mir vorbei und rüttelt an der Tür, dann hält er einen Moment inne und denkt nach. Er sagt nicht, ich sei verrückt oder paranoid oder sonst was. Er sagt einfach nur: »Es gibt keinen Schlüssel. Ich könnte versuchen, das Schloss zu knacken. Wenn nötig können wir dann immer noch die Tür aufbrechen.«
»Ich geh oben pinkeln«, verkündet Rachel, dreht sich auf dem Absatz um und wackelt davon.
Kent fasst in seine GesäÃtasche und holt eine Handvoll Sicherheitsnadeln heraus. »Frag nicht«, sagt er, als ich die Augenbrauen hochziehe. Ich hebe abwehrend die Hände und verfolge die Sache nicht weiter. Ich bin ihm dankbar, dass er sich kümmert, ohne Fragen zu stellen.
Er hockt sich hin, biegt eine Sicherheitsnadel auf und versucht damit das Schloss aufzukriegen. Er hält ein Ohr an die Tür, als lauschte er auf ein Klicken. SchlieÃlich kann ich meine Neugier nicht länger bändigen.
»Hast du einen Ferienjob als Bankräuber oder so was?«
Er schneidet eine Grimasse, versucht vergeblich die Tür aufzumachen, steckt die Sicherheitsnadel zurück in die Tasche und holt eine Kreditkarte aus seiner Brieftasche. »Wohl kaum.« Er zwängt die Kreditkarte in den Spalt zwischen der Tür und dem Rahmen und wackelt damit. »Meine Mutter hat das Junkfood immer in der Vorratskammer eingeschlossen.«
Er richtet sich auf und dreht den Türgriff. Die Tür geht einen Spaltbreit auf und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ein Teil von mir hofft, dass Juliets wütendes Gesicht auftaucht oder dass die Tür von innen wieder zugeknallt wird. Das würde ich machen, wenn jemand die Badezimmertür aufbricht, während ich drin bin. Zumindest, wenn ich noch wach â lebendig â genug bin.
Aber die Tür bleibt einfach so, einen Spaltbreit geöffnet. Kent und ich sehen uns erst an. Ich glaube, wir haben beide Angst davor, sie weiter aufzumachen.
Dann stöÃt Kent mit dem Zeh gegen die Tür, und als die Tür aufschwingt, ruft er: »Juliet?« â die Zeit scheint sich wieder auszudehnen, dass es mir vorkommt wie eine Ewigkeit â, und diese Sekunde oder halbe Sekunde genügt, um mir alle schrecklichen Möglichkeiten auszumalen und mir ihren zusammengekrümmten Körper auf dem Boden vorzustellen.
Und dann steht die Tür auf und vor uns liegt das Badezimmer: vollkommen sauber, vollkommen normal und vollkommen leer. Das Licht brennt und über dem Waschbecken hängt ein feuchtes Handtuch. Das Einzige, was ein bisschen ungewöhnlich ist, ist das Fenster. Es steht weit offen und Regen ist eingedrungen und auf die Fliesen darunter gespritzt.
»Sie ist aus dem Fenster geklettert«, sagt Kent im selben Augenblick, als ich es denke. Ich kann seinen Tonfall nicht richtig einordnen. Er klingt teils traurig und teils bewundernd.
»ScheiÃe.« Natürlich. Nach einer solchen Demütigung hat sie den einfachsten Weg nach drauÃen gesucht, mit dem sie am wenigsten Aufmerksamkeit erregt. Das Fenster führt auf einen abschüssigen Rasen an der Seite des Hauses und in den Wald hinaus. Dort muss sie hingerannt sein, um dann in einem Bogen hintenrum zur Zufahrt zu kommen.
Ich stürze aus dem Bad. Kent ruft: »Warte!«, aber ich bin bereits den Flur entlang und zur Tür hinaus auf die Veranda gerannt.
Ich hole meine Taschenlampe und das Sweatshirt hinter dem Blumenkübel hervor, wo ich sie vorhin versteckt hatte, und laufe auf den Rasen. Im Moment regnet es gar nicht so stark, es ist eher gefrierenderNebel, der in dichten Lagen von oben herunterfällt, aber es ist diese Art Kälte, die einem durch und durch geht. Auf meinem Weg um das Haus herum richte ich die Taschenlampe auf den Boden. Ich bin nicht gerade eine Meisterin im Spurenlesen, aber ich habe genug alte Krimis gelesen, um zu wissen, dass man immer nach FuÃspuren suchen muss. Leider ist der Matsch so dick und nass, dass alles ganz aufgewühlt ist. Trotzdem finde ich unter dem Badezimmerfenster einen tiefen Abdruck, wo Juliet aufgekommen sein muss, und eine
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