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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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verdreht bäuchlings auf der Straße landet und der Range Rover in den Wald segelt und splitternd gegen einen Baum kracht, wo er zusammengeknautscht wird, und lange Rauchfahnen und Flammen in den Himmel züngeln, wird mir klar, dass ich diejenige bin, die schreit.
    BEVOR ICH ERWACHE
    Da hat Kent mich eingeholt. »Sam«, sagt er atemlos und mustert mein Gesicht. »Alles in Ordnung?«
    Â»Lindsay«, flüstere ich. Es ist das Einzige, was mir einfällt. »Das sind Lindsay, Elody und Ally da in dem Auto.«
    Er dreht sich zur Straße um. Schwarze Rauchsäulen steigen aus dem Wald auf. Von da, wo wir stehen, können wir nur die verbeulte Stoßstange sehen, die wie ein Finger über die Erdkrümmung hinausragt.
    Â»Warte hier«, sagt er. Wunderbarerweise klingt er ganz ruhig. Er rennt auf die Straße, zückt sein Telefon und ich höre, wie er jemandemam anderen Ende der Leitung schreiend Angaben durchgibt. Ein Autounfall. Es brennt. Route 9, gleich hinterm Devon Drive. Er kniet sich neben Juliet. Mindestens eine Verletzte.
    Andere Autos halten jetzt quietschend an. Zögernd steigen die Leute aus ihren Wagen, alle sind plötzlich nüchtern und unterhalten sich flüsternd, während sie den kleinen verdrehten Körper auf der Straße anstarren und den Rauch und das Feuer, die aus dem Wald züngeln. Emma McElroy kommt mit quietschenden Reifen zum Stehen und steigt aus, die Hände vor den Mund geschlagen und mit weit aufgerissenen Augen. Sie lässt die Tür ihres Mini offen stehen und das Radio laufen. Nellys »Hot in herre« dröhnt durch die Nacht und das Normale daran ist das Allerschrecklichste. Irgendjemand schreit: »Scheiße, Emma, mach das aus.« Emma stürzt zurück zu ihrem Auto und dann herrscht Schweigen, abgesehen vom Prasseln des Regens und von jemandem, der laut schluchzt.
    Ich fühle mich wie in einem Traum. Ich versuche weiterhin mich zu bewegen, aber es gelingt mir nicht. Ich spüre noch nicht mal mehr den Regen. Ich spüre meinen Körper nicht.
    Ein einziger Gedanke kreist in meinem Kopf immer rundherum: etwas Weißes, das aufblitzt, kurz bevor wir in den schwarzen Wald geschleudert werden, Lindsay, die etwas schreit, das ich nicht genau verstehen kann.
    Nicht Sitz oder Sicht oder Scheiß .
    Sykes .
    Dann ertönt ein langes, durchdringendes Heulen aus der anderen Seite des Waldes und Lindsay kommt zur Straße hochgestolpert. Sie hat den Mund weit aufgerissen und Tränen laufen ihr übers Gesicht. Kent ist auch dort, er stützt Ally, die hinkt und hustet, aber aussieht, als wäre alles in Ordnung mit ihr.
    Lindsay schreit: »Hilfe! Hilfe! Elody ist noch da drin! Jemand muss ihr helfen! Bitte!« Sie ist dermaßen hysterisch, dass ihre Wörter zusammenwachsen und zu einem Tiergeheul anschwellen. Sie lässt sich auf den Asphalt sinken, vergräbt den Kopf in den Händen und schluchzt. Dann gesellt sich ein anderes Geheul dazu: Sirenen in der Ferne.
    Keiner rührt sich. Alles passiert in kurzen, abgehackten Bildern – so kommt es mir zumindest vor –, als würde ich einen Film bei Stroboskoplicht gucken. Immer mehr Schüler, die sich im Regen sammeln und so unbeweglich und schweigend dastehen wie Statuen. Die blinkenden Lichtleisten der Polizeiautos, die die Szenerie beleuchten: rot, dann weiß, dann rot, dann weiß. Uniformierte Gestalten … ein Krankenwagen … eine Bahre … zwei Bahren. Juliets Körper, der ordentlich, klein und zerbrechlich daliegt, genau wie vor Jahren der Vogel. Lindsay, die sich übergibt, als auf der zweiten Bahre ein weiterer Körper aus dem völlig kaputten Auto geborgen wird, und Kent, der ihr über den Rücken streicht. Ally, die mit offenem Mund schluchzt, was komisch ist, weil ich keinen Ton höre. Irgendwann sehe ich in den Himmel hinauf und stelle fest, dass der Regen zu Schnee geworden ist – dicke weiße Flocken wirbeln wie durch Zauberei aus der Dunkelheit herab. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier stehe. Als ich mich wieder der Straße zuwende, bin ich überrascht, dass kaum noch jemand da ist, nur ein paar Nachzügler und ein einsames Polizeiauto und Kent, der auf und ab springt, um sich warm zu halten, und mit einem Polizisten spricht. Die Krankenwagen sind weg. Lindsay ist weg. Ally ist weg.
    Dann steht Kent vor mir, obwohl ich gar nicht gesehen habe, wie er hergekommen

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