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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Sein Blick huscht über mein Gesicht und dann wieder weg, und jedes Mal, wenn er auf mir ruht, habe ich das Gefühl, die Welt um uns herum versinkt und wir sind allein auf einer hellen, grünen Wiese.
    Â»Du hast nichts verpasst in Mathe«, sagt er und ich merke, dass ein Kent-McFuller-Schwall bevorsteht. »Also, wir haben einen Teil der Hausaufgaben vom Mittwoch besprochen, weil ein paar Leute fast schon durchdrehen wegen des Tests am Montag. Aber im Großen und Ganzen waren alle ein bisschen hibbelig, wahrscheinlich wegen Valentinstag, und Daimler hat sich nicht groß darum gekümmert, dass …«
    Â»Kent?«
    Er blinzelt und verstummt. »Ja?«
    Â»Hast du mir die geschickt?« Ich halte die Rose hoch. »Also, ich meine, ist die von dir?«
    Sein Lächeln wird so breit, dass es strahlt wie ein enormer Sonnenstrahl. »Das verrate ich nicht«, sagt er augenzwinkernd.
    Unbewusst bin ich mehrere Schritte auf ihn zugegangen, damit ich die Wärme seines Körpers spüren kann. Ich frage mich, was er wohl tun würde, wenn ich ihn jetzt an mich zöge und mit meinen Lippen über seine striche, so wie er es gestern Nacht getan hat – hoffe ichzumindest. Aber schon allein beim Gedanken daran habe ich Schmetterlinge im Bauch und mein ganzer Körper zittert unsicher.
    In diesem Moment fällt mir ein, was Ally am ersten Tag gesagt hat, dem Tag, als all das angefangen hat: dass ein Schwarm Schmetterlinge, der in Thailand auffliegt, ein Gewitter in New York verursachen kann. Und ich denke an die tausend Milliarden Schritte und Fehltritte und Umstände und Zufälle, die mich hierhergeführt haben, Kent gegenüber, eine rosa-cremefarben melierte Rose in der Hand, und es fühlt sich an wie das größte Wunder der Welt.
    Â»Danke«, platze ich heraus und füge schnell hinzu: »ich meine … dafür, dass du mir die gebracht hast.«
    Er zieht erfreut und verlegen den Kopf ein. »Kein Thema.«
    Â»Ich … äh … hab gehört, du gibst heute eine Party?« Ich gebe mir in Gedanken selbst einen Tritt, weil ich mich so lahm anhöre. In meinem Kopf lief das alles so viel einfacher ab. In meinem Kopf würde er sich jetzt vorbeugen und noch mal diese Sache mit seinen Lippen machen, diese weiche, flatternde Sache. Ich will unbedingt, dass alles wieder gut wird, dass ich wieder das Gleiche fühle wie gestern Nacht – wir wieder das Gleiche fühlen wie gestern Nacht, er muss es doch auch gespürt haben –, aber ich habe den Eindruck, dass ich es mit allem, was ich sage, vermasseln könnte. Vorübergehend übermannt mich Trauer über das Verlorene. Irgendwo in der sich endlos drehenden Ewigkeit ist dieser winzige Sekundenbruchteil, als unsere Lippen sich getroffen haben, für immer verloren.
    Â»Ja.« Er strahlt. »Meine Eltern sind nicht da, weißt du. Kommst du?«
    Â»Auf jeden Fall«, sage ich so heftig, dass er irgendwie erschrocken aussieht. »Ich meine«, fahre ich in normaler Lautstärke fort, »da sind heute Abend alle, stimmt’s?«
    Â»Wir wollen’s hoffen.« Kents Stimme ist langsam und warm wie Sirup und ich wünschte, ich könnte die Augen schließen und ihr einfach nur zuhören. »Ich habe zwei Fässer Bier besorgt.« Er lässt seinen Finger kreisen, wie um zu sagen: Hey, wow!
    Â»Ich wäre sowieso gekommen.« Ich trete mich in Gedanken: Was soll das überhaupt heißen?
    Kent sieht allerdings so aus, als hätte er es begriffen, denn er wird rot. »Danke«, sagt er. »Ich hatte gehofft, du würdest kommen. Ich meine, ich habe gedacht, du würdest, weil du immer auf Partys gehst, weißt du, ausgehst und so, aber ich wusste nicht, ob heute vielleicht noch eine andere Party ist oder so oder ob du mit deinen Freundinnen freitags was anderes machst …«
    Â»Kent?«
    Er lässt wieder so süß den Mund offen stehen, ganz kurz. »Ja?«
    Ich lecke mir über die Lippen, unsicher, wie ich hervorbringen soll, was ich ihm sagen will, und balle die Hände zu Fäusten.
    Â»Ich … ich muss dir was sagen.«
    Er runzelt die Stirn. Süß – warum ist mir nie aufgefallen, wie süß er ist? – und das macht es nicht gerade leichter.
    Tiefe Atemzüge, ein und aus. »Es klingt bestimmt total verrückt, aber …«
    Â»Ja?« Er beugt sich weiter vor, bis unsere

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