Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Arbeitszimmer ist. Leute strömen hinein und heraus.
    Â»Komm mit.« Ich ziehe Ally wieder hinter mir her, aber sie macht sich los.
    Â»Ich gehe Lindsay suchen.« Ganz offensichtlich hat sie meine komische Mission satt. Ich nicke und sie geht auf das hintere Zimmer zu.Dabei setzt sie die Wodkaflasche ein wie einen Viehtreibstab und stupst die Leute damit aus dem Weg. Eine Hand landet auf meinem Arm und ich zucke zusammen.
    Ich drehe mich um: Brianna McGuire und Alex Liment.
    Â»Du hast doch Englisch bei Mrs Harbor, stimmt’s?« Sie wartet meine Antwort gar nicht ab, bevor sie mit ihrer Leier loslegt. »Weißt du, ob sie die Aufsatzthemen für Macbeth verteilt hat? Alex hat gefehlt. Arzttermin.«
    Da ich letzten Endes doch nicht mit Lindsay Eis essen gegangen bin – irgendetwas zog an mir und ich wollte in der Nähe der Schule, im Zentrum der Dinge, bleiben –, hätte ich Brianna und Katie und Alex fast vergessen. Alex’ Gesichtsausdruck – dieses kleine, schiefe Lächeln, das sich auch immer in Robs Miene schleicht, wenn er mal wieder mit irgendeiner an den Haaren herbeigezogenen Ausrede erfolgreich eine Abgabeverlängerung bei einem seiner Lehrer rausgeschlagen hat – weckt jetzt in mir den Wunsch, ihm eine reinzuhauen. Ich muss an Katie mit ihrem kohlrabenschwarzen Augen-Make-up und ihrem improvisierten Speisesaal auf dem Boden des verlassenen Klos denken. Auch Brianna ist gar nicht so übel. Nervig, ja, aber hübsch und nett und die Art Mensch, die in ihrer Freizeit wahrscheinlich ehrenamtlich mit kranken Kindern arbeitet.
    Ich kann es nicht ertragen. Ich kann ihn damit nicht durchkommen lassen.
    Brianna quasselt immer noch davon, dass Alex’ Mom völlig verrückt ist, was das Thema Gesundheit angeht. Ich unterbreche sie. »Riecht es hier nicht nach chinesischem Essen?«
    Brianna zieht die Nase kraus, ganz offensichtlich enttäuscht, dass ich ihr nicht zugehört habe. » Chinesisches Essen?«
    Ich schnüffele ganz auffällig. »Ja. Nach … nach …«, ich sehe Alexdirekt an. »Irgendwie nach einer großen Schüssel Rindfleisch in Orangensoße.«
    Sein Lächeln verrutscht ein bisschen, aber er zuckt die Schultern und sagt: »Ich rieche nichts.«
    Â»O Gott.« Brianna hält sich eine Hand vor den Mund. »Das ist doch nicht mein Atem, oder? Ich hab nämlich gestern Abend chinesisch gegessen.«
    Ich starre Alex weiterhin an. »Was hast du denn?«, frage ich und bemühe mich noch nicht mal, den scharfen Unterton aus meiner Stimme rauszuhalten.
    Er blinzelt. »Was?«
    Brianna sieht verwirrt aus und einen Augenblick stehen wir alle drei schweigend da. Alex und ich mustern uns und Brianna sieht so schnell zwischen uns hin und her, dass ich mir Sorgen mache, ihr Hals könnte abbrechen.
    Dann lächele ich. »Ich meine, gesundheitsmäßig. Warum musstest du zum Arzt?«
    Alex entspannt sich sichtlich. »Nichts Großartiges. Meine Mutter wollte, dass ich mich gegen irgendwas Komisches impfen lasse. Und mich einfach mal durchchecken lasse und so, weißt du.«
    Â» Mmmhmmm . Ich hoffe, sie waren gründlich.« Ich werfe einen vielsagenden Blick auf seinen Schritt. Glücklicherweise starrt Brianna ihn an und beobachtet, wie er rot wird, so dass sie es nicht merkt.
    Â»Ã„h. J…ja. Ziemlich.« Er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an, als nähme er mich zum ersten Mal wahr.
    Â»Ich suche auch einen Arzt«, fahre ich unbekümmert fort. Brianna tut mir leid, aber andererseits hat sie ein Recht darauf zu erfahren, was ihr Freund, der immer so lahme Ausreden auf Lager hat, treibt. »Es ist echt schwer, einen guten zu finden, weißt du? Erst rechteinen, der gleichzeitig ein Restaurant mit Mittagstisch für 4,99 $ betreibt. Das hat man selten.«
    Â»Wovon redest du?« Briannas Stimme ist eher ein Quieken. Ruckartig wendet sie sich wieder an Alex. »Wovon redet sie?«
    In Alex’ Kiefer zuckt ein Muskel. Mir ist klar, dass er mich am liebsten zur Sau machen würde, aber weiß, dass er damit alles nur noch schlimmer macht, deshalb steht er einfach da und funkelt mich an.
    Ich lege Brianna die Hand auf den Arm. »Tut mir leid, Brianna. Aber dein Freund ist ein echter Kotzbrocken.«
    Â»Wovon redet sie?«
    Briannas Stimme klettert noch eine Oktave höher und im Weggehen höre ich, wie Alex versucht sie zu beruhigen und