Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
sie zweifellos mit so vielen Lügen versorgt, wie ihm auf die Schnelle einfallen. Ich sollte mich eigentlich gut fühlen nach dem, was ich getan habe â schlieÃlich geschieht es ihm recht und auf eine seltsame Weise rücke ich die Dinge nur gerade â, aber sobald ich weggehe, werde ich irgendwie unsicher. Das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, lässt nach, und an seine Stelle tritt kribbelnde Angst. In Gedanken durchlaufe ich noch mal alle Ereignisse des Tages, als würde ich über einen Computerbildschirm scrollen, auf der Suche nach irgendeinem Versäumnis, irgendetwas, das ich zu tun oder zu sagen vergessen habe. Vielleicht hätte ich vorhin noch zu Juliet nach Hause fahren sollen, um nach ihr zu sehen. Andererseits bin ich nicht sicher, was ich ihr hätte sagen sollen. Hallo. Könntest du mir bitte bestätigen, dass du dich heute Nacht nicht vor irgendein Auto wirfst? Das wäre groÃartig. Und auch keine Schusswaffen. Das ist immerhin mein Leben, mit dem du hier spielst.
Die Musik ist so laut, dass man die Töne kaum voneinander unterscheiden kann. Ich stelle mir vor, wie ich Kents Hand nehme und ihn irgendwohin ziehe, wo es still und dunkel ist. In das Zimmer untenvielleicht oder in den Wald oder noch weiter weg. Vielleicht setzen wir uns einfach ins Auto und fahren los.
»Sam! Sam!«
Ich blicke auf. In dem hinteren Zimmer ist Lindsay auf eins der Sofas geklettert und winkt mir über die Flut aus wippenden Köpfen hinweg zu. Neben ihr steht Ally und ein Stück hinter ihnen sehe ich Elody, die Steve Brown irgendwas zuflüstert.
Ich zögere, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit überkommt mich. Es wäre albern, mit Kent zu sprechen. Ich habe keine Worte, mit denen ich beschreiben könnte, wie sehr ich mich in ihm, in Rob, in allen getäuscht habe. Ich glaube nicht, dass ich ihm erklären könnte, wie ich mich verändert habe. Und vielleicht ist das alles eh eine Lüge. Vielleicht ist es unmöglich, sich zu ändern.
In diesem Augenblick, während ich noch zwischen zwei Türen schwanke, werden um mich herum alle ganz leise oder verstummen ganz und klappen die Münder auf. Lindsay strauchelt auf dem Sofa, lässt ihre Hand nutzlos sinken. Ally neben ihr macht den Mund auf und zu wie ein Fisch. Das Dröhnen durchfährt jetzt meinen ganzen Körper wie das Summen eines Stromkabels.
Und da ist sie und geht den Flur entlang. Nach alldem: Juliet Sykes auf einer Mission.
In einem Augenblick verwandelt sich die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, das Gefühl, etwas vergessen oder irgendwie das Wesentliche übersehen zu haben, in Wut. Als sie Lindsay sieht, bleibt sie stehen und öffnet den Mund, um ihr »Du Miststück« loszuwerden, aber ich gebe ihr keine Gelegenheit, auch nur ein Wort auszusprechen, stürze nach vorn, packe sie am Arm und zerre sie halb zurück den Flur entlang. Sie ist zu überrascht, um sich zu wehren.
Ich ziehe sie hinter mir her ins nächste Bad â »Raus«, befehle ichzwei Mädchen, die sich vor dem Spiegel stylen â, knalle die Tür zu und schlieÃe ab. Als ich mich zu ihr umdrehe, starrt sie mich an, als wäre ich hier die Psychopathin.
»Was machst du hier?«
Sie muss meine Frage missverstanden haben. »Das ist eine Party«, sagt sie mit sanftem Nachdruck. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, auszurasten und mich Miststück zu nennen, hat sie eine schöne Stimme, so melodisch wie Elodys. »Ich habe das gleiche Recht, hier zu sein, wie alle anderen.«
»Nein.« Ich schüttele den Kopf und presse dabei mit den Fingern gegen meine Schläfen, um das Hämmern dahinter abzustellen. »Ich meine, was machst du wirklich hier? Warum bist du gekommen?«
Ihr Blick huscht zum Türknauf hinter mir. Ich stelle mich so hin, dass er gegen meinen Rücken stöÃt. Wenn sie rauswill, muss sie mich erst aus dem Weg schaffen.
Offensichtlich rechnet sie sich keine groÃen Chancen aus, denn sie holt tief Luft. »Ich bin hergekommen, um euch etwas zu sagen. Dir und Lindsay und Elody und Ally.«
»Ach ja? Was denn?«
»Du Miststück«, sagt sie ruhig und überhaupt nicht anklagend, eher so wie etwas, das ihr leidtut.
Gleichzeitig mit ihr sage ich: »Ich Miststück.«
Sie starrt mich an.
»Hör mal, Juliet«, ich fahre mir mit der Hand durch die Haare, »ich weiÃ, dass wir nicht
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