Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
verrückt werde, wenn ich weine oder auf dem Gang zusammenbreche, sobald ich ihm in der Schule begegne.« Sie zuckt zurück. »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, aber ihr wiederholt euch. Hatten wir schon, gabâs schon. Achte Klasse. Frühjahrsball. Andrew Roberts.«
Sie sackt zusammen, als hätte die Ansprache sie erschöpft, die Wut und das brennende Licht verschwinden gleichzeitig, ihr Gesicht wird wieder ausdruckslos, ihre Hände öffnen sich.
»Oder vielleicht hattet ihr gar keinen Plan«, sagt sie, diesmal leise, fast freundlich. »Vielleicht hatte es gar keinen Sinn. Vielleicht wolltet ihr mich nur daran erinnern, dass ich niemanden habe, keine Freunde, keine heimlichen Verehrer. âºNächstes Jahr vielleicht, aber wahrscheinlich nichtâ¹, stimmtâs?« Sie lächelt mich wieder an und das ist viel schlimmer als ihre Wut.
Inzwischen bin ich so frustriert und perplex, dass ich gegen dieTränen ankämpfen muss. »Juliet, ich schwöre, darum ging es nicht. Ich ⦠ich dachte einfach, es wäre nett. Ich dachte, davon würdest du dich besser fühlen.«
»Mich besser fühlen?« Sie wiederholt die Worte, als hätte sie sie nie zuvor gehört, und jetzt haben ihre Augen einen verträumten, abwesenden Ausdruck angenommen. Jede Spur von Ãrger und Emotionen ist verschwunden. Sie sieht friedlich aus, ausgeglichen, und mir fällt auf, wie hübsch sie ist so aus der Nähe, genau wie ein Supermodel mit dieser geisterhaft blassen Haut und diesen riesigen blauen Augen von der Farbe des Himmels am frühen Morgen.
»Du kennst mich nicht«, sagt sie nur wenig lauter als flüsternd. »Du hast mich nie gekannt. Und du kannst nicht dafür sorgen, dass ich mich besser fühle. Das kann niemand.«
Das erinnert mich daran, was ich vor nur zwei Tagen zu Kent gesagt habe â Ich glaube nicht, dass man mich in Ordnung bringen kann  â, aber jetzt weià ich, dass ich mich geirrt habe. Jeder kann in Ordnung gebracht werden; so muss es einfach sein, nur so ergibt das alles einen Sinn. Ich versuche mir einfallen zu lassen, wie ich Juliet das sagen, sie davon überzeugen kann. Aber ganz ruhig und mit dieser schwebenden Anmut, die sie immer ausgezeichnet hat, legt sie ihre Hand auf einen meiner Arme und schiebt mich sanft, aber bestimmt aus dem Weg, und ich stelle fest, dass ich zur Seite gehe und zulasse, dass sie nach dem Türknauf greift. Tränen steigen mir in die Kehle und ich suche immer noch nach Worten und die ganze Zeit über kommt es mir vor, als würde ihr Gesicht immer blasser und glühte beinahe wie die reine, weiÃe Spitze einer Flamme; und mir kommt der Gedanke, dass ich ihr bereits dabei zusehe, wie sie ihr Leben aushaucht, wie es vor mir aufflackert, ein Fernseher mit Schneegestöber.
Mit der Hand an der Tür bleibt sie stehen und sieht geradeaus.
»WeiÃt du, ich war früher mit Lindsay befreundet.« Sie redet immer noch mit dieser schrecklichen ruhigen Stimme, als würde sie aus einer Entfernung von vielen Kilometern sprechen. »Als wir kleiner waren, haben wir alles zusammen gemacht. Ich habe immer noch eine Freundschaftskette, die sie mir geschenkt hat, eins von diesen Herzen, die in der Mitte durchgebrochen sind. Wenn man sie nebeneinanderlegt, kann man auf der Kette lesen: âºBeste Freundinnen für immerâ¹.« Â
Ich will fragen, was passiert ist, warum sie nicht mehr befreundet sind, aber die Worte stecken hinter dem Kloà in meinem Hals fest. Und ich habe Angst, sie zu unterbrechen. Solange Juliet mit mir redet, ist sie in Sicherheit.
»Das war, kurz bevor ihre Eltern sich haben scheiden lassen.« Juliet wirft einen schnellen Blick in meine Richtung, aber ihre Augen scheinen über mein Gesicht hinwegzustreichen, ohne es wahrzunehmen. »Sie war die ganze Zeit total traurig. Ich habe oft bei ihr übernachtet und ihre Eltern haben sich dermaÃen gestritten, dass wir uns unter ihrem Bett verstecken und alles mit Kissen ausstopfen mussten, um das Geräusch zu dämpfen. Sie nannte es âºeine Festung bauenâ¹. So war sie immer, weiÃt du, versuchte immer das Beste aus allem zu machen. Aber wenn sie dachte, ich würde schlafen, weinte sie sich die Augen aus. Sie bekam auch Albträume. Schlimme. Mitten in der Nacht wachte sie schreiend auf.«
Juliet starrt wieder die Tür an und lächelt leicht. Ich wünschte,
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