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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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kann nicht. Stattdessen sage ich leise: »Die Leute würden dich trotzdem mögen, Lindz.« Ich sage nicht: Wenn du aufhören würdest, dich so zu verstellen , aber ich weiß, dass sie mich versteht. »Wir hätten dich in jedem Fall gern.«
    Sie ballt die Fäuste und sagt gepresst: »Danke.« Dann dreht sie sich um und geht zum Haus hoch. Einen Augenblick sieht ihre Haut im Licht, das auf ihr Gesicht fällt, nass aus, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie weint oder ob das der Schnee ist.
    Kent beugt sich herüber und macht mir die Tür auf und ich steige ins Auto. Wir lassen Lindsays Haus hinter uns zurück und biegen schweigend auf die Hauptstraße ein. Er fährt langsam, vorsichtig, die beiden Scheinwerfer strahlen den Schnee trichterförmig an, Kent hat beide Hände locker aufs Lenkrad gelegt. Es gibt so viel, was ich ihm sagen möchte, aber ich kann mich nicht überwinden zu sprechen. Ich bin müde und habe Kopfschmerzen und möchte einfach die Tatsache genießen, dass unsere Arme nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind, die Tatsache, dass sein Auto nach Zimt riecht, die Tatsache, dass er meinetwegen die Heizung hochgedreht hat. Von der Wärme werde ich ganz schläfrig und bekomme schwere Glieder, obwohl mein Inneres lebendig flattert und sich seiner Nähe zu hundert Prozent bewusst ist.
    Als wir uns unserem Haus nähern, wird er langsamer, so dass wir fast kriechen, und ich hoffe, es liegt daran, dass er auch nicht will, dass die Fahrt zu Ende geht. Das ist der Augenblick, in dem die Zeit stehenbleiben sollte, genau jetzt – der Augenblick, in dem sich das Universum auftun und auseinanderbrechen sollte wie am Rand eines schwarzen Lochs, damit die Zeit sich in einer Endlosschleife dreht und wir ewig so durch den Schnee fahren. Aber egal, wie langsam Kent fährt, das Auto bewegt sich weiter vorwärts.
    Bald taucht links von uns unser schiefes Straßenschild auf, wir fahren an den dunklen Häusern der Nachbarn vorbei und dann sind wir an unserem Haus.
    Â»Danke fürs Nachhausefahren«, sage ich und drehe mich zu ihm um, während er sich gleichzeitig zu mir umdreht und sagt: »Bist du sicher, dass du klarkommst?«
    Wir lachen beide nervös. Kent schiebt sich die Haare aus den Augen und sie fallen augenblicklich zurück, was meinen Magen zum Flattern bringt.
    Â»Kein Problem«, sagt er. »Es war mir ein Vergnügen.«
    Es war mir ein Vergnügen. So was kann nur Kent sagen, ohne dass es nach einer kitschigen Phrase aus einem alten Film klingt, und einen Augenblick schmerzt mein Herz heftig, als ich an die ganze Zeit denke, die ich verschwendet habe, Sekunden und Stunden, die mir durch die Finger geronnen sind wie Schnee in der Dunkelheit.
    Wir sitzen eine Weile wortlos da. Ich will unbedingt etwas sagen, irgendwas, damit ich nicht aussteigen muss, aber die Wörter wollen sich nicht einstellen und die Sekunden verstreichen. Schließlich platze ich heraus: »Alles heute Nacht war schrecklich außer dem hier.«
    Â»Außer was?«
    Ich bewege meinen Zeigefinger zwischen uns hin und her. Du und ich. Alles war schrecklich außer dem.
    Seine Augen leuchten auf. »Sam.« Er sagt einmal meinen Namen, haucht ihn kaum. Ich wusste gar nicht, dass eine einzelne Silbe meinen ganzen Körper in ein tanzendes, glühendes Etwas verwandeln kann. Plötzlich streckt er den Arm aus und legt mir eine warme Hand auf die Wange, fährt mit dem Finger über meine Augenbrauen und sein Daumen ruht eine einzige wunderbare Sekunde lang leicht auf meiner Unterlippe – ich schmecke Zimt auf seiner Haut –, dann lässt er seine Hand sinken und zieht sie verlegen weg.
    Â»Entschuldigung«, murmelt er.
    Â»Nein … schon okay.« Mein Körper summt. Das muss er doch hören. Gleichzeitig fühlt es sich an, als würde mein Kopf von meinen Schultern geschleudert.
    Â»Es ist nur … o Gott, es ist so schrecklich.«
    Â»Was ist so schrecklich?« Mein Körper hört unvermittelt auf zu summen und alles in mir wird bleischwer. Jetzt sagt er mir, dass er mich nicht mag. Jetzt sagt er mir wieder, dass er mich durchschaut.
    Â»Na ja, nach all dem, was heute Nacht passiert ist … es ist nicht der richtige Moment … und du bist mit Rob zusammen.«
    Â»Ich bin nicht mit Rob zusammen«, sage ich schnell. »Nicht mehr.«
    Â»Nein?« Er sieht mich so

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