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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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durchdringend an, dass ich die goldenen Streifen in seinen Augen sehen kann, die sich mit dem Grün abwechseln wie Radspeichen.
    Ich schüttele den Kopf.
    Â»Das ist gut.« Er sieht mich immer noch so an, als wäre er der erste und letzte Mensch, der mich je ansehen wird. »Weil …« Er bricht ab und seine Augen wandern langsam hinunter zu meinen Lippen, und durch meinen Körper tost so viel Hitze, dass ich garantiert gleich ohnmächtig werde.
    Â»Weil?«, wiederhole ich, überrascht, dass ich überhaupt noch sprechen kann.
    Â»Weil, tut mir leid, aber ich kann’s nicht ändern und muss dich jetzt wirklich sofort küssen.«
    Er legt mir eine Hand in den Nacken und zieht mich zu sich heran. Und dann küssen wir uns. Seine Lippen sind weich und bringen meine zum Kribbeln. Ich schließe die Augen und in der Dunkelheit hinter meinen Lidern sehe ich wunderschöne blühende Dinge, Blumen, die wie Schneeflocken herumwirbeln, und Kolibris, die im gleichen Rhythmus mit den Flügeln schlagen wie mein Herz. Ich verschwinde, verliere mich, trudele ins Nichts wie in meinem Traum, aber diesmal fühlt es sich gut an – wie Schweben, wie grenzenlose Freiheit. Seine andere Hand streicht mir die Haare aus dem Gesicht und ich spüre den Abdruck seiner Finger an allen Stellen, die sie berühren, und ich muss an Sterne denken, die über den Himmel flitzen und brennende Schweife hinter sich herziehen, und in diesem Augenblick –wie lang er auch dauern mag, Sekunden, Minuten, Tage –, während er meinen Namen in meinen Mund spricht und ich in ihn hineinatme, wird mir bewusst, dass das hier, genau jetzt, das erste und einzige Mal in meinem Leben ist, dass ich wirklich geküsst worden bin.
    Er löst sich viel zu früh von mir, hält aber immer noch mein Gesicht in seinen Händen. »Wow«, sagt er atemlos. »Entschuldige. Aber wow.«
    Â»Ja.« Das Wort bleibt mir im Hals stecken.
    Wir bleiben so sitzen und sehen uns an und ausnahmsweise habe ich keine Angst davor oder mache mir Sorgen darüber, was er denkt. Ich bin einfach glücklich, umfangen von seinem Blick, geborgen an einem warmen, hellen Ort.
    Â»Ich habe dich wirklich sehr gern, Sam«, sagt er leise. »Ich hatte dich schon immer sehr gern.«
    Â»Ich dich auch.« Mach dir keine Sorgen wegen morgen. Denk einfach nicht daran. Ich schließe kurz die Augen und schiebe alles weg außer diesem Moment, seine warmen Hände, diese wunderbaren grünen Augen, die Lippen.
    Â»Auf geht’s.« Er beugt sich vor und drückt mir einen sanften Kuss auf die Stirn. »Du bist müde. Du musst schlafen.«
    Er steigt aus dem Auto und geht außen herum zur Beifahrerseite, um mir die Tür aufzumachen. Der Schnee bleibt jetzt liegen und deckt über alles eine Decke, die die Kanten der Welt verwischt. Unsere Schritte klingen gedämpft, als wir den Weg hinauf zur Veranda gehen. Meine Eltern haben das Licht auf der Veranda angelassen, das einzige Licht in einem dunklen Haus in einer dunklen Straße – vielleicht das einzige Licht auf der ganzen Welt. In seinem Schein sieht der Schnee aus wie Sternschnuppen.
    Â»Du hast Schnee in den Wimpern.« Kent fährt mit einem Fingerüber meine Augenlider und meinen Nasenrücken. Ich fröstele. »Und in den Haaren.« Eine flatternde Hand, das Gefühl von Fingerspitzen, eine gewölbte Handfläche in meinem Nacken. Himmlisch.
    Â»Kent.« Ich umklammere seinen Hemdkragen. Egal, wie nah er mir ist, es ist nicht nah genug. »Hast du manchmal Angst vorm Einschlafen? Angst davor, was als Nächstes kommt?«
    Er lächelt ein trauriges kleines Lächeln und ich schwöre, es ist, als wüsste er Bescheid. »Manchmal habe ich Angst davor, etwas zurückzulassen«, sagt er.
    Dann küssen wir uns wieder und unsere Körper und Münder bewegen sich so stimmig zusammen, dass es ist, als küssten wir uns gar nicht, als würden wir nur ans Küssen denken, ans Atmen. Alles ist richtig und natürlich und unbewusst und entspannt, kein Bemühen, sondern völlige Hingabe, Loslassen, und genau dann und genau da passiert das Undenkbare und Unmögliche: Schließlich steht die Zeit wirklich still. Zeit und Raum weichen zurück und schießen davon wie ein Universum, das sich unendlich weit ausdehnt und nur Dunkelheit und uns beide an seinem Rand zurücklässt, Dunkelheit und Atem

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