Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
wir zur Schule zurückkommen, will Lindsay noch eine rauchen, obwohl es jeden Augenblick zur siebten Stunde läutet.
»Zwei Züge«, sagt sie und reiÃt die Augen auf. Ich lache und lasse mich hinter ihr herziehen, weil sie weiÃ, dass ich nicht Nein sagen kann, wenn sie dieses Gesicht macht. In der Lounge ist niemand. Wir stehen zusammengedrängt neben den Tennisplätzen, während Lindsay versucht, ein Streichholz anzuzünden.
SchlieÃlich gelingt es ihr und sie nimmt einen tiefen Zug und stöÃt dann eine Rauchwolke aus.
Einen Augenblick später hören wir einen Schrei über den Parkplatz gellen: »He! Du da! Mit der Zigarette!«
Wir erstarren beide. Ms Winters. Nikotin-Nazi.
»Los!«, schreit Lindsay nach dem Bruchteil einer Sekunde und lässt ihre Zigarette fallen. Sie rennt hinter die Tennisplätze, obwohl ich rufe: »Hier rüber!« Ich sehe Ms Wintersâ aufgetürmte blonde Haare über den Autos auf und ab hüpfen â ich bin mir nicht sicher, ob sie uns gesehen oder nur lachen gehört hat. Ich ducke mich hinter einen Range Rover und renne durch die Zwölftklässlergasse zu einerder Hintertüren der Sporthalle, während Ms Winters noch schreit: »He! He! «
Ich packe den Türgriff und rüttele daran, aber die Tür klemmt. Einen Augenblick setzt mein Herzschlag aus und ich bin mir sicher, dass sie abgeschlossen ist, aber dann werfe ich mich dagegen, sie geht auf und eine Abstellkammer kommt dahinter zum Vorschein. Ich springe hinein und mache mit klopfendem Herzen die Tür hinter mir zu. Eine Minute später höre ich Schritte an der Tür vorbeistapfen. Dann höre ich, wie Ms Winters »ScheiÃe« murmelt, und die Schritte treten den Rückzug an.
Ich finde diese ganze Sache â den Tag, die Schlacht im Eiscafé, das Beinahe-Geschnapptwerden, die Vorstellung, wie Lindsay in ihrem neuen Rock und den neuen Steve-Madden-Plateaustiefeln irgendwo im Wald kauert â so witzig, dass ich mir den Mund zuhalten muss, um nicht zu lachen. Der Raum, in dem ich stehe, riecht nach Stollenschuhen, FuÃballtrikots und Matsch, und zwischen den Stapeln orangefarbener Pylonen und der Tasche voller Basketbälle, die in der Ecke aufgetürmt sind, habe ich kaum genug Platz zum Stehen. An einer Seite des Raums ist ein Fenster, hinter dem sich ein Büro befindet: Ottos wahrscheinlich, er wohnt praktisch in der Sporthalle. Ich habe sein Büro nie gesehen. Auf seinem Schreibtisch stapelt sich Papier und auf dem Computerbildschirm leuchtet ein Bildschirmschoner, der aussieht, als wäre es ein kitschiges Strandbild, das er aus dem Internet runtergeladen hat. Ich schleiche mich näher an das Fenster an und denke gerade, wie genial es wäre, wenn ich ihn bei irgendetwas Schmutzigem erwischen würde und zum Beispiel Unterwäsche entdeckte, die aus einer seiner Schubladen lugt, oder ein Pornomagazin oder so was, als seine Bürotür aufgeht â und da ist er.
Ich lasse mich sofort auf den Boden fallen. Ich muss mich zusammenrollen und selbst so habe ich Panik, dass mein Pferdeschwanz über das Fensterbrett ragt. Es klingt blöd, wenn man all das bedenkt, was gerade passiert, aber ich kann nichts anderes denken als: Wenn er mich sieht, bin ich echt tot. Tschüs, Allys Haus; hallo, Nachsitzen.
Mein Gesicht klebt an einem halb offenen Seesack, der aussieht, als sei er voller alter Basketballtrikots. Ich weià nicht, ob die nie gewaschen worden sind, aber von dem Gestank würde ich mich am liebsten übergeben.
Ich höre, wie Otto um seinen Tisch herumgeht, und bete â bete â, dass er sich dem Tisch nicht so weit nähert, dass er sieht, wie ich mich an einen Haufen alter Sportgeräte quetsche. Ich kann bereits die Gerüchte hören: Samantha Kingston dabei entdeckt, wie sie es mit Pylonen treibt.
Eine Minute oder zwei hört man das Schlurfen und ich bekomme einen Krampf in den Beinen. Es läutet zum ersten Mal zur siebten Stunde â noch drei Minuten bis Unterrichtsbeginn â, aber ich habe keine Chance, mich rauszuschleichen. Die Tür quietscht und auÃerdem habe ich keine Ahnung, in welche Richtung er guckt. Er könnte genau die Tür anstarren.
Meine einzige Hoffnung ist, dass Otto in der siebten Stunde Unterricht hat, aber es hört sich nicht so an, als hätte er es eilig, irgendwo hinzukommen. Ich stelle mir vor, dass ich hier
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