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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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auf. Meine Mannschaft, deine Mannschaft. Diese Seite der Linie, die andere Seite der Linie. Furchtlos und sorglos. Ich habe sie immer dafür bewundert – wir alle.
    Ich bin unruhig, als müsste ich Antworten auf Fragen finden, von denen ich nicht sicher bin, wie ich sie stellen soll. Ich rutsche langsamvom Sofa, um Lindsay nicht zu wecken, aber es stellt sich heraus, dass sie gar nicht schläft. Sie dreht sich um und in der Dunkelheit kann ich gerade so ihre blasse Haut und die tiefen Augenhöhlen erkennen.
    Â»Du gehst aber nicht nach oben, oder?«, flüstert sie.
    Â»Aufs Klo«, flüstere ich zurück.
    Ich taste mich raus auf den Flur, wo ich stehen bleibe. Irgendwo tickt eine Uhr, aber abgesehen davon ist es vollkommen still. Alles ist dunkel und der Steinfußboden ist kalt unter meinen Füßen. Ich fahre mit einer Hand die Wand entlang, um mich zu orientieren. Das Geräusch des Regens hat aufgehört. Als ich hinausblicke, sehe ich, dass der Regen zu Schnee geworden ist, Tausende Schneeflocken, die an den Bleiglasfenstern schmelzen. Sie lassen das Mondlicht, das durch die Scheiben dringt, wässrig und bewegt aussehen, wie Schatten, die sich lebendig auf dem Boden drehen und verschwimmen. Hier gibt es ein Klo, aber da will ich nicht hin. Ich schiebe die Tür auf, die in den Keller hinunterführt, und taste mich nach unten, wobei ich mich an beiden Geländern festhalte.
    Sobald meine Füße auf dem Teppich am Fuß der Treppe ankommen, suche ich mit den Fingern an der Wand links von mir und stoße schließlich auf den Lichtschalter. Plötzlich taucht der Kellerraum auf, groß und karg und normal: beige Ledersofas, eine alte Tischtennisplatte, noch ein Flachbildfernseher und ein runder Bereich mit einem Heimtrainer, einem Crosstrainer und einem dreiteiligen Spiegel in der Mitte. Es ist kühler hier unten und riecht nach Chemikalien und frischer Farbe.
    Direkt hinter dem Sportbereich ist noch eine Tür, die in den Raum führt, den wir immer als Allison Carters Altar bezeichnet haben. Das Zimmer ist mit Allys alten Zeichnungen tapeziert, von denen keine gut ist und die meisten noch aus der Grundschulzeit stammen.Die Regalbretter quellen über vor Fotos von ihr: Ally zu Halloween in der ersten Klasse als Krake verkleidet; Ally steht in einem grünen Samtkleid lächelnd vor einem riesigen Weihnachtsbaum, der unter seinem Schmuck beinahe zusammenbricht; Ally im Bikini blinzelt; Ally lacht; Ally runzelt die Stirn; Ally guckt nachdenklich. Und auf dem untersten Regalbrett alle Jahrbücher von Ally von der Kindergartenzeit an. Ally hat uns mal gezeigt, dass Mrs Carter alle Bücher einzeln durchgeblättert und von Jahr zu Jahr Allys Freunde mit bunten Aufklebern versehen hat (»Damit du nie vergisst, wie beliebt du immer warst«, hatte Mrs Carter ihr gesagt).
    Ich knie mich hin. Ich bin mir nicht ganz sicher, wonach ich suche, aber ein Gedanke nimmt in meinem Kopf Gestalt an, eine alte Erinnerung, die immer wieder verschwindet, wenn ich versuche, sie zu fassen zu kriegen, wie diese 3-D-Bilder vom magischen Auge, bei denen man die versteckte Gestalt nur dann entdeckt, wenn man den Blick nicht darauf fokussiert.
    Ich fange mit dem Jahrbuch der ersten Klasse an und schlage es zufällig direkt bei Mr Christensens Klasse auf – und da bin ich und stehe etwas abgerückt von der Gruppe. Das Blitzlicht, das sich in meiner Brille spiegelt, macht es unmöglich, meine Augen zu erkennen. Mein Lächeln ähnelt eher einem Zusammenzucken, als täte die Anstrengung weh. Ich blättere schnell weiter. Ich hasse es, mir Jahrbücher anzusehen; sie bringen nicht gerade eine Vielzahl guter Erinnerungen zurück. Meine liegen irgendwo auf dem Dachboden vergraben mit all meinem anderen Kram, den Mom nicht wegschmeißen will, weil sie darauf besteht, dass ich das »später vielleicht noch haben will«, wie meinen alten Puppen und einem zerlumpten Stofflamm, das ich überall mit mir herumgetragen habe.
    Zwei Seiten weiter finde ich, wonach ich suche: Mrs Novaks ersteKlasse. Und da ist Lindsay, wie immer vorne in der Mitte, und lächelt breit in die Kamera. Neben ihr steht ein dünnes, hübsches Mädchen mit einem schüchternen Lächeln und Haaren, die so blond sind, dass sie fast weiß aussehen. Sie und Lindsay stehen so nah beieinander, dass ihre Arme sich von den Ellbogen bis zu den Fingerspitzen

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