Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

sogar noch früher, Familienurlaube und mein achter Geburtstag und das erste Mal, dass ich im Schwimmbad vom Dreimeterbrett gesprungen bin und mir Wasser in die Nase drang und mir ganz schwindelig wurde – aber alle kommen mir irgendwie nicht ganz perfekt vor, sondern fleckig und schattig.
    An einem perfekten Tag wäre keine Schule, das ist schon mal klar. Und es gäbe Pfannkuchen zum Frühstück – Moms Pfannkuchen. Und Dad würde seine berühmten Spiegeleier machen und Izzy würde den Tisch decken, wie sie es manchmal in den Ferien macht, mit verschiedenen, nicht zusammenpassenden Tellern und Obst und Blumen, die sie vor dem Haus pflückt und mitten auf den Tisch wirft, was sie »Tafelaufzhatzh« nennt.
    Ich schließe meine Augen und spüre, wie ich loslasse, als kippte ich über den Rand eines Abgrunds, und Dunkelheit steigt auf, um mich davonzutragen …
    Rringrringrring.
    Ich werde vom Rand des Schlafs weggerissen und eine entsetzliche Sekunde lang denke ich: Das ist mein Wecker. Ich bin zu Hause und es passiert schon wieder. Ich schlage krampfartig um mich und Lindsay schreit auf: »Au!«
    Das Geräusch dieses einen Worts lässt mein Herz wieder ruhig schlagen und meine Atmung zu ihrem normalen Rhythmus finden.  
    Rringrringrring . Jetzt, wo ich ganz wach bin, wird mir bewusst, dass das nicht mein Wecker ist. Es ist das Telefon, das in mehreren Zimmern schrill klingelt und ein eigenartiges Echo hervorruft. Ich sehe auf die Uhr: 1:52.
    Elody stöhnt. Ally dreht sich um und murmelt: »Stell es ab.« Das Telefon hört auf zu klingeln und fängt dann wieder an, und plötzlich setzt sich Ally so gerade auf, als hätte sie einen Stock verschluckt, und ist hellwach.
    Sie sagt: »Scheiße. Scheiße. Meine Mutter bringt mich um.«
    Â»Mach, dass es aufhört, Al«, sagt Lindsay unter ihrem Kissen hervor.
    Ally versucht sich aus ihrem Bettzeug zu befreien und murmelt dabei: »Scheiße. Wo ist das verdammte Telefon?« Sie strauchelt und stolpert schließlich aus dem Bett, wobei sie mit der Schulter auf den Boden schlägt. Elody stöhnt erneut, diesmal lauter.
    Lindsay sagt: »Ich versuche zu schlafen, Leute.«
    Â»Ich brauche das Telefon«, zischt Ally zurück.
    Aber es ist sowieso zu spät. Ich höre oben Schritte. Mrs Carter ist offensichtlich aufgewacht. Einen Augenblick später hört das Telefon auf zu klingeln.
    Â»Gott sei Dank.« Lindsay raschelt herum und kriecht weiter unter ihre Decke.
    Â»Es ist fast zwei.« Ally steht auf – ich kann vage ihren Umriss erkennen, der zurück zum Bett humpelt. »Wer um alles in der Welt ruft denn um zwei Uhr morgens hier an?«
    Â»Vielleicht ist es Matt Wilde, der dir seine Liebe gestehen will«, sagt Lindsay.
    Â»Sehr witzig«, erwidert Ally. Sie legt sich zurück ins Bett und wir schweigen alle. Ich kann gerade so das leise Gemurmel von Mrs Carters Stimme über uns hören, das Knarren ihrer Schritte, als sie umhergeht. Dann höre ich sie ganz deutlich sagen: »O nein. O Gott.«
    Â»Ally …«, hebe ich an.
    Aber sie hat es auch gehört. Sie steht auf und macht das Licht an. Die plötzliche Helligkeit lässt mich zusammenzucken. Lindsay flucht und zieht sich die Decke über den Kopf.
    Â»Da stimmt irgendwas nicht.« Ally umarmt sich selbst und blinzelt schnell. Elody greift nach ihrer Brille, dann stützt sie sich auf die Ellbogen. Schließlich bemerkt auch Lindsay, dass das Licht nicht wieder ausgeht, und kommt aus ihrem Kokon gekrochen.
    Â»Was ist denn los?« Sie ballt die Fäuste und reibt sich damit die Augen.
    Niemand antwortet. In uns allen wächst jetzt ein Gefühl dafür: Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht. Ally steht einfach da mitten im Zimmer. In ihrem zu großen T-Shirt und den ausgebeulten Boxershorts sieht sie viel jünger aus, als sie ist.
    Irgendwann verstummt die Stimme im Obergeschoss und die Schritte bewegen sich diagonal über den Boden auf die Treppe zu. Ally geht zur Luftmatratze zurück, verschränkt die Beine und kaut an ihren Fingernägeln.
    Mrs Carter scheint nicht überrascht zu sein, dass wir wach sind und auf sie warten. Sie trägt ein langes seidenes Nachthemd und hat eine Schlafmaske auf dem Kopf sitzen. Ich habe Mrs Carter bisher immer nur perfekt zurechtgemacht gesehen und Angst steigt in mir auf.
    Â»Was?« Allys Stimme klingt halb