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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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du.«
    Â»Ich weiß«, sage ich. Aber ich habe das Gefühl, dass sie gar nicht mit mir redet.
    Â»Und ich habe gehört, dass ihr Vater Alkoholiker ist«, fährt Lindsay fort, schnell plötzlich und drängend. »Ihre ganze Familie ist durchgeknallt.«
    Â»Ja«, sage ich. Eine Minute lang stehen wir einfach schweigend da. Mein Körper fühlt sich schwer an, nutzlos, so wie manchmal in Albträumen, wenn man rennen muss, aber nicht kann. Nach einer Weile fällt mir etwas ein und ich sage: »War.«
    Obwohl wir schweigend dastehen, atmet Lindsay abrupt ein, als hätte ich sie mitten in einer langen Rede unterbrochen. »Was?«
    Â»Sie war durchgeknallt«, sage ich. »Jetzt ist sie nichts mehr.«
    Lindsay antwortet nicht. Ich gehe an ihr vorbei durch den dunklen Flur und taste mich bis zum Sofa. Ich lege mich unter die Decke und kurz darauf kommt sie herein und legt sich zu mir.
    Als ich dort liege, überzeugt, dass ich nicht werde schlafen können, fällt mir ein, wie Lindsay und ich uns mitten in der elften Klasse an einem beliebigen Wochentag – einem Dienstag oder Donnerstag – nachts davongestohlen haben und herumgefahren sind, weil es nichts Besseres zu tun gab. Irgendwann fuhr sie auf der Fallow Ridge Road plötzlich an den Rand, machte die Scheinwerfer aus und wartete darauf, dass ein anderes Auto die einspurige Straße hinauf auf uns zukam. Dann ließ sie den Motor aufheulen, schaltete die Scheinwerfer an und raste direkt darauf zu. Ich schrie aus vollem Hals, als die Scheinwerfer groß wie Sonnen wurden, überzeugt, dass wir sterben würden, und sie umklammerte das Lenkrad und rief über mein Geschrei hinweg: »Keine Sorge – die anderen weichen immer zuerst aus.« Damit hatte sie Recht. Im letzten Moment fuhr das andere Auto in den Graben.
    Daran erinnere ich mich, kurz bevor ich in den Traum sinke.
    In meinem Traum falle ich durch Dunkelheit.
    In meinem Traum falle ich endlos.

VIER
    Noch im Halbschlaf halte ich bereits den Wecker in der Hand und bin in dem Moment vollkommen wach, in dem ich ihn gegen die Wand donnere. Er lässt einen letzten Klagelaut hören, bevor er zerschellt.
    Â»Wow«, sagt Lindsay, als ich eine Viertelstunde später ins Auto steige. »Ist im Rotlichtbezirk eine Stelle frei, von der ich nichts weiß?«
    Â»Fahr einfach.« Ich kann sie kaum ansehen. Wut durchströmt mich wie eine brodelnde Flüssigkeit. Sie ist eine Täuschung, die ganze Welt ist eine Täuschung, ein strahlender, glänzender Betrug. Und irgendwie bin ich diejenige, die dafür bezahlt. Ich bin diejenige, die gestorben ist. Ich bin diejenige, die gefangen ist.
    Die Sache ist die: Eigentlich sollte es nicht ich sein. Lindsay ist diejenige, die fährt wie in der realen Version von Grand Theft Auto . Lindsay ist diejenige, die sich andauernd ausdenkt, wie sie Leute verarschen oder demütigen kann, die andauernd alle kritisiert. Lindsay ist diejenige, die verschwiegen hat, dass sie mit Juliet Sykes befreundet war, und sie dann all die Jahre über gequält hat. Ich habe gar nichts gemacht; ich habe mich nur mitziehen lassen.
    Â»Du wirst erfrieren, weißt du.« Lindsay schnippt ihre Zigarette raus und macht das Fenster zu.
    Â»Danke, Mom.« Ich klappe den Spiegel herunter, um mich zu vergewissern, dass mein Lippenstift nicht verschmiert ist. Ich habemeinen Rock mehrfach umgeschlagen, so dass er jetzt kaum noch meinen Hintern bedeckt, wenn ich mich hinsetze, und ich trage Schuhe mit zwölf Zentimeter hohen Plateausohlen, die ich mal zusammen mit Ally aus Spaß in einem Laden gekauft habe, von dem wir ziemlich sicher waren, dass er nur Striptänzerinnen ausstattet. Bei dem pelzbesetzten Tanktop bin ich geblieben, habe es allerdings mit einer Strasskette ergänzt, die ich mir auch mal aus Spaß für Halloween gekauft habe, als wir uns alle als sexy Krankenschwestern verkleidet haben. Da steht in großen Glitzerbuchstaben BITCH.
    Es ist mir egal. Ich bin in der Stimmung, angestarrt zu werden. Ich habe das Gefühl, als könnte ich in diesem Moment alles tun: jemanden ins Gesicht schlagen, eine Bank ausrauben, mich betrinken und irgendeine Dummheit begehen. Das ist der einzige Vorteil davon, tot zu sein. Keine Konsequenzen.
    Lindsay entgeht mein Sarkasmus oder sie ignoriert ihn. »Es überrascht mich, dass deine Eltern dich überhaupt so aus dem Haus gelassen

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