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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Sie war unsere Rüstung.
    Â»Na, dann los, mach ruhig«, sagte sie und wirkte erleichtert, obwohl mir so war, als sähe ich noch etwas anderes aufblitzen – Traurigkeit vielleicht.
    Und das tat ich. Ich pinkelte, während sich Lindsay übers Waschbecken beugte, mit den Händen eine Schale formte und daraus Wasser in den Mund nahm, ihn ausspülte und gurgelte. Es ist komisch: Man glaubt, alles bleibt stehen, wenn schlimme Dinge passieren, als würde man vergessen zu pinkeln und zu essen und Durst zu haben, aber das stimmt nicht. Es ist, als wären man selbst und sein Körper zwei völlig verschiedene Dinge, als würde einen sein eigener Körper verraten und sich einfach weiter dahinschleppen, idiotisch und animalisch, und nach Wasser, Sandwiches und Klopausen verlangen, während die Welt um einen herum auseinanderfällt.
    Ich sah Lindsay dabei zu, wie sie nach einem Listerine-Streifen angelte und sich ihn in den Mund steckte, dabei zog sie eine leichte Grimasse. Dann machte sie sich an ihr Make-up, frischte ihren Mascara auf und trug neues Lipgloss auf. Das Klo war klein, aber sie schien weit weg zu sein.
    Schließlich sagte sie: »Ich mache das nicht ständig oder so. Ich glaube, ich habe einfach zu schnell gegessen.«
    Â»Okay«, erwiderte ich und habe auch später nie erfahren, ob sie die Wahrheit sagte.
    Â»Sag Al oder Elody nichts davon, okay? Ich will nicht, dass sie ohne Grund ausflippen.«
    Â»Klar.«
    Sie schwieg, drückte die Lippen aufeinander und spitzte sie vor dem Spiegel. Dann drehte sie sich zu mir um. »Ihr drei seid wie eine Familie für mich. Das weißt du doch, oder?«
    Sie sagte es beiläufig, als machte sie mir ein Kompliment wegenmeiner Jeans, aber ich wusste, dass es mit das Aufrichtigste war, was sie je zu mir gesagt hatte. Ich wusste, dass sie es wirklich so meinte.
    Wir gingen wie geplant zur Party ins Arboretum. Elody und Ally amüsierten sich prächtig, aber ich bekam Magenschmerzen und musste mich über der Motorhaube von Allys Auto übergeben. Ich bin mir nicht sicher, ob es am Essen lag oder woran, aber es kam mir so vor, als wäre da etwas in meinem Magen, das mit aller Gewalt einen Weg nach draußen suchte.
    Lindsay hatte eine tolle Nacht. An diesem Abend küsste sie Patrick zum ersten Mal. Vier Monate später, gegen Ende des Sommers, schliefen sie miteinander. Als sie uns erzählte, wie sie mit ihrem Freund ihre Jungfräulichkeit verloren hatte – die Kerzen, die Decke auf dem Fußboden, die Blumen, das volle Programm – und wie toll es war, dass ihr erstes Mal so romantisch gewesen war, zuckte keine von uns auch nur mit der Wimper. Wir beeilten uns alle, ihr zu gratulieren, fragten sie nach Details aus und sagten ihr, dass wir neidisch wären. Wir taten es für Lindsay, um sie glücklich zu machen. Sie hätte für uns das Gleiche getan.
    So ist das mit besten Freundinnen. Dafür sind sie da. Sie verhindern, dass du abstürzt.
    WO ES ANFÄNGT
    Lindsay, Elody und Ally sind wohl gleich nach ihrer Ankunft nach oben gegangen – wenn man bedenkt, dass sie ihren eigenen Wodka dabeihaben, ist das ziemlich sicher –, weil ich sie erst ungefähr eine Stunde später wieder sehe. Ich habe vier Gläschen Rum gekippt und von einem Augenblick auf den anderen bin ich total betrunken: Der ganze Raum ist eine sich drehende, verschwommene Welt aus Farbenund Geräuschen. Courtney hat gerade die Rumflasche leer gemacht, also gehe ich mir ein Bier holen. Ich muss mich auf jeden Schritt konzentrieren, und als ich am Fass ankomme, stehe ich einen Augenblick einfach nur da, weil ich vergessen habe, was ich hier wollte.
    Â»Bier?« Matt Carnegie füllt einen Becher und hält ihn mir hin.
    Â»Bier«, sage ich, erfreut, dass das Wort so deutlich rauskommt, erfreut, dass mir wieder eingefallen ist, was ich wollte.
    Ich gehe nach oben. Ich registriere alles in kurzen Schlaglichtern, wie ein Filmstreifen, der in Stücke geschnitten wurde: das Gefühl des rauen Holzgeländers; Emma McElroy, die an einer Wand lehnt, den Mund weit aufgerissen, und nach Luft schnappt – vielleicht lacht sie? – wie ein Fisch am Haken; blinkende Lichterketten, verschwommenes Licht. Ich bin nicht sicher, wo ich hingehe oder wonach ich suche, aber plötzlich sehe ich Lindsay am anderen Ende des Raumes und stelle fest, dass ich bis in den hinteren Teil des Hauses

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