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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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Gedanken wie Messer in den unsichtbaren Spalt des Übergangs zwischen Leben und Tod. Was ich Ilana gegenüber nicht erwähne, ist die Frage, die mich seit der Todesnachricht nicht mehr losläßt. Es heißt, daß im Augenblick des Todes das ganze Leben wie ein Film vorüberzieht, aber welche Bilder waren es, und was ist das ganze Leben? War es nicht viel eher ein schillerndes Chaos, in dem jeder Augenblick sich an den Kanten seiner Möglichkeiten brach, keine Spur von Auswahlprinzip oder von Ordnung? War es nicht eher der Einbruch der Dunkelheit mitten am Tag, als drehe eine große Hand an einem Dimmer, bis das Bewußtsein sich in Schwärze auflöst? Und wenn es doch Bilder waren? Welchen Platz hatte ich in dieser Bilderfolge, und waren sie von Ressentiment gefärbt oder von Bedauern, vielleicht schon von einer jenseitigen Erkenntnis erhellt, wie alles hätte sein können und daß es trotz allem, vom Ende her betrachtet, für ein Leben miteinander ausgereicht hat? Was hast du erkannt? möchte ich ihn fragen, komm nach Hause, und erzähl es mir.
    Ich habe es mir vorzustellen versucht, erzählt Ilana, wie es
ist zu sterben, die Augen zu schließen, und der Boden rutscht unter den Füßen weg, es wird Nacht hinter den Augenlidern, das ist ja alles noch wie einschlafen. Und dann ist nichts mehr. Aber der letzte Augenblick davor? Gab es diesen Augenblick davor oder ging die Bewußtlosigkeit bruchlos in den Tod über? Fiel der Tod hinterrücks über ihn her oder ist Sterben etwas, wozu man am Ende seine Zustimmung gibt?
    Das Ende des körperlichen Begehrens fiel so nah mit dem Ende seines Lebens zusammen, daß ich mich des Gedankens nicht erwehren kann, es sei ein Aufgeben gewesen, profund und endgültig. Als hätte er hinter seinem eigenen Rücken beschlossen, daß es genug sei, daß es nun nichts mehr zu erobern gab und daß er mit Resignation und ein wenig Erleichterung auch das Leben loslassen konnte. Ein Satz blieb in meinem Gedächtnis haften, der mich damals kränkte, weil er mich so selbstverständlich aus seinem Leben ausschloß, er kam ganz unvermittelt, ohne weitere Erklärung: Ich bin zu alt, sagte er, als daß irgend jemandem meine Gesellschaft angenehm wäre, und ich nahm an, daß irgend jemand eine bestimmte Frau war. Das stimmt nicht, sagte ich, mit niemandem kann ich reden wie mit dir, stundenlang, ohne eine einzige Minute der Langeweile. Ja, kann schon sein, sagte er gleichgültig. Trotzdem hatte er nicht aufgehört, in die Zukunft hineinzuträumen, ein längerer Aufenthalt im Ausland zum Beispiel, er dachte, im Ausland würde er wieder gehen können, ohne nach wenigen Schritten nach Luft ringen zu müssen, und er glaubte, eine junge Frau, selbst wenn er sich mit ihr nicht unterhalten konnte, weil er ihre und sie seine Sprache gar nicht oder nur mangelhaft verstand, würde ihm die verlorene Lust am Leben zurückgeben.
    Alle Toten, die ich kannte, sind mit einer uneingelösten Hoffnung gestorben, sage ich zu Ilana und denke an meine
jung verstorbene Mutter, an einen alten Freund, einen Maler, der bis zum Ende seines Lebens auf den künstlerischen Durchbruch hoffte, da war immer etwas, was sie nicht hatten vollbringen können, und nur die Menschen, die ihnen nahe gestanden waren, erinnerten sich noch eine Weile an die ungeborenen Kinder ihrer Phantasie. Es scheint, als gäbe es für jeden eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten, von Erfahrungen, die er machen kann, und wenn die ausgeschöpft sind, tritt der Tod ein oder ein Stillstand, der zum Tod führt. Manche kommen früher an diesen Punkt, sage ich zu Ilana, und für andere reichen die Dinge, die darauf gewartet haben, sich zu entfalten, ein ganzes, langes Leben, wie für deinen Großvater, der noch mit neunzig Jahren junge Bäume pflanzt. Aber wenn dieser Punkt erreicht ist, hilft keine noch so große Anstrengung mehr.
    Eine gewagte These, sagt Ilana kühl.
    Ich hatte im letzten Jahr eine undeutliche Ahnung, daß etwas zu Ende ging. Ich dachte, es sei nun an der Zeit, endgültig nach Amerika zurückzukehren und mein bisheriges Wanderleben zu beenden. Aber ich kam mit meinen Plänen für die Zukunft nicht vom Fleck, ich spürte nur, daß es ganz anders weitergehen mußte als bisher, anders, als ich es mir vorstellen konnte. Das letzte Jahr war ein Leben mit angehaltenem Atem vor dem gewesen, was schon ganz nah und noch verborgen war. Jetzt ist dieses Gefühl weg, denn, wie Leslie sagte, das Schlimmste ist eingetreten.
    Während wir im Wohnzimmer sitzen

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