Wenn du wiederkommst
bewußt, die Containerbauten aus Beton entlang gerader Straßen, ebenerdige Verschläge mit Metallrahmen, in die unter schmutzigen Markisen eine Glastür und ein Schaufenster eingelassen sind, und in denen alles von Autoreifen bis Fast Food verkauft wird, alles, was nützlich und häßlich ist, dazwischen schmucklose Einfamilienhäuser mit Schiebefenstern und Fliegengittern, und über viele Meilen Brachland mit Strip Mails und Megamärkten, und immer wieder Taco Bell, Burger King, McDonald’s, Friendly’s, Pizza Hut, Imbißlokale, von denen wir unsere Tochter oft auflasen, wenn sie als Teenager von einer Gruppe Jugendlicher mit Auto abgehängt worden war. Im Sommer brennt die Sonne auf den Asphalt, hungert die Platanenbäumchen aus, die, in den Gehsteig einzementiert, nie zu Bäumen werden, im Winter fegen Wind und Regen über die flachen Dächer und die betonierten Parkplätze groß wie Fußballfelder. Erst weiter südlich gibt es kurze Waldstrecken entlang des Highway. Die Suburbs sind Orte, die jeder flieht, der einen Ausweg hat. Wer einen Job hat, fährt am Morgen weg und kommt in der Dunkelheit zurück. Hier gibt es weder Theater noch Konzerte, keine Buchhandlungen, nur kleine Büchereien, und an jedem Häuserblock die aus unerfindlichen Gründen so zahlreichen Manikürsalons. Hier werden jungverheiratete Mädchen allmählich alt und dick, sie fangen an, Kleiderschürzen zu tragen, und lassen sich gehen. Nur die Fingernägel lassen sie sich noch maniküren, um dabei ein paar Stunden Langeweile zu vertreiben. Erst jetzt, nach dreißig Jahren, jetzt, wo es zu spät ist, denke ich, daß ich mich in ein Schicksal fügte, das keines war, daß ich Jerome vielleicht nicht hätte verlassen müssen, daß es ausgereicht hätte, den Ort zu verlassen, an den er mich als junge Frau aus Europa brachte. Warum erkenne ich das erst jetzt?
Aber das Haus selbst habe ich immer geliebt. Es hatte mich vom ersten Augenblick an so stark angezogen, daß ich um jeden Preis drin wohnen wollte, über dem Charles River, mit den Baumkronen dicht vor den Fenstern und der Flußbiegung, breit und schimmernd wie ein See in der Mittagssonne. Es war der vorläufige Ersatz für das Sommerhaus auf Cape Cod, von dem Jerome seit seiner Kindheit träumte. An Wochenenden fuhren wir die Küste entlang nach Süden und notierten uns die Telefonnummern der Makler auf den For Sale-Schildern entlang der Landstraßen. Wie viele Häuser mit Blick aufs Meer haben wir in unserer Vorstellung bewohnt, mit unseren Augen besessen, bevor wir fünf Jahre vor Jeromes Tod das Angebot bekamen, das wir uns leisten konnten. In Dedham konnte man, im Unterschied zu den Feriendörfern auf Cape Cod, das ganze Jahr über wohnen, es lag nahe an der Subway, und ich hatte gehofft, ich könnte die Einkaufszeile ignorieren, deren Straßenlärm man bei offenem Küchenfenster hört, und auch die Zweckbauten und schmucklosen Einfamilienhäuser der sechziger Jahre, die aus unserer Nachbarschaft eine ärmliche Wohngegend machen. Die südlichen Vorstädte von Boston haben eigenartige Namen, Braintree, Dedham, Needham, deren Herkunft ich am Anfang nachgehen wollte, was ich dann doch nie tat. Wir blieben in Dedham nicht nur, weil uns das Haus gefiel, sondern auch aus Trägheit, aus Phantasielosigkeit, obwohl wir wußten, daß uns die Vorstadt von dem Leben abschnitt, das uns gemäß gewesen wäre. Aber erst als wir vor zwei Wochen auf der Bank im Public Garden über die Zukunft redeten, wußten wir, wie unser Leben hätte aussehen müssen.
Jetzt ist auch das Haus so unbewohnbar wie die Umgebung, vielleicht sogar das ganze Land, denn in den Stunden, in denen die Trauergäste ein und aus gingen, habe ich begriffen,
daß diese Stadt und das Land für mich nicht von Jerome zu trennen sind, daß ich hier die Einsamkeit ohne ihn nicht ertragen würde. Ein Leben in diesem Haus wäre so verwaist und überflüssig wie die Kleider in seinem Schrank, und ich würde mit derselben hartnäckigen Sehnsucht von seiner immer schwächer werdenden Gegenwart zehren, wie ich jetzt den schwindenden Duft seines Aftershave im Kleiderschrank und im Bad einatme.
Nein, sage ich zu Ilana, du bist die Erbin, kauf dir mit dem Geld eine schöne Wohnung in Manhattan. Und während ich es sage, erfaßt mich eine unvermittelte Angst, als müsse das Haus, jetzt, wo ich es aufgebe, in den Grundfesten erschüttert werden, wie das House of Usher, und in den Fluß stürzen. Noch ist es intakt, obwohl das Dach seit dem
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