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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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und weiß danach nie, ob ihr Handy wirklich geläutet hat oder nur im Traum.
    Seit dem Morgen nach seinem Begräbnis läutet jeden Tag um halb vier Uhr früh sein Handy, aber ich wache nie rechtzeitig auf, um abzuheben, und ich kenne seinen Code nicht, um die Nachricht abzurufen. Wer würde ihn um vier Uhr früh anrufen? In Europa ist es halb zehn Uhr vormittag. Ist es eine alte Liebe? Ist es Suleyma, zu der er seit vierzig Jahren eine innige Beziehung pflegte, obwohl sie inzwischen Großmutter und Witwe war, oder ist es die Schauspielerin aus London, für die er sich vor zwei Jahren begeistert hat? Ich stelle mir vor, daß es eine Frau ist, die sich im Stich gelassen fühlt und sich fragt, warum er ohne Erklärung und ohne Abschied einfach
aus ihrem Leben verschwunden ist. Und ich genieße den kleinen Vorsprung vor ihr, diese winzige Nähe zu ihm, die ich ihr voraus habe, so wie Louise die Erinnerung an seinen Anblick als Toten hütet und eine Überlegenheit daraus ableitet. Warum bereitet es mir Genugtuung, daß sie erst nach Wochen, wenn überhaupt, von seinem Tod erfahren wird? Im Frühjahr rief eine Judy aus New York mit verführerischem Tremolo in der Stimme an, und ich löschte den Anruf, noch bevor er nach Hause kam. Nicht nur sie, alle seine Freunde, deren Adressen Ilana und Harold nicht ausfindig machen konnten, werden sich fragen, warum er ihre e-mails und ihre Briefe nicht mehr beantwortet. Er wird ohne Abschied aus ihrem Leben verschwinden, und sein Verschwinden ist wie eine Pause im Fortgang der Welt, eine rätselhafte Leerstelle in ihren Gedanken, die bald von anderen Menschen und Dingen gefüllt sein wird, ein Schweigen, das bald keinem mehr auffällt. Und wer dennoch irgendwann von seinem Tod erfährt, wird einen Augenblick lang vor dem Schrecken der Ewigkeit den Atem anhalten und dann weiterleben, als sei nichts passiert.
    Nur ich fühle mich verraten und verlassen durch die Gleichgültigkeit eines Toten, der es nicht der Mühe wert findet, mich in meinen Träumen zu trösten. Ohne es einander einzugestehen, warten wir beide, daß er zurückkommt, und sehen in allem seine Spuren und seine Gegenwart. Und gleichzeitig fragen wir uns, wie lange Fleisch braucht, um zu verwesen. Es gebe Friedhöfe, behauptet Ilana, wo die Toten wie einbalsamiert erhalten blieben, es hinge von der Beschaffenheit des Bodens ab. Ich kann mich nicht von der Vorstellung befreien, wie der Regen, der schon die ganze Woche andauert, in seinen Sarg eindringt, die Bretter durchtränkt, und wie sein Körper zu verwesen beginnt, eine breiige Masse aus gestocktem
Blut und wäßrigem Gewebe. Aber das ist nicht der wirkliche Jerome, sage ich mir, denn seine unsichtbare Anwesenheit füllt das ganze Haus, er ist in jeder Ecke, in jeder Sekunde gegenwärtig, ich könnte zahllose Beweise aufzählen. Die Lampe neben seinem Bett, die mitten in der Nacht umfällt. Zufall, ein Luftzug sage ich, wahrscheinlich die Katzen. Aber sie ist noch nie umgefallen, widerspreche ich mir. Eine ungreifbare Atmosphäre der Gewalttätigkeit liegt über den Räumen, als sei im Haus ein Mord geschehen, aber der Mörder ist der Tod. Die grüne Achatlampe im Wohnzimmer verlischt schon seit Jahren nach wenigen Minuten, jeder, der in den letzten Tagen im Fauteuil daneben saß, versuchte sie anzuknipsen, und plötzlich geht sie mitten in der Nacht von selber an. Wackelkontakt, sage ich mir und schreibe die Gänsehaut auf meinem Rücken der feuchten Kälte zu. Jedesmal, wenn das Licht flackert, sehen wir uns an und schweigen, weil jede das gleiche denkt und sich dafür schämt. In der Schiwa-Woche, behauptet der jüdische Volksglaube, trauert die Seele des Toten um die Trennung von ihrem Körper, und ich glaube, seine Unrast zu spüren, wie zu Zeiten, wenn er über etwas beunruhigt war und von einem Ende des Wohnzimmers zum Schreibtisch lief und wieder zurück, Laden öffnete und zustieß, er umgibt mich wie die Luft, die ich atme. Die Kälte in den Nächten ist eine noch nie gekannte Kälte, die bis ins Innerste dringt. Zum erstenmal begreife ich die Redewendung bis ins Mark, als müsse augenblicklich der Tod durch Erfrieren eintreten, obwohl ich in den Kleidern im Bett liege und alle Decken, die ich im Haus finden kann, über mich häufe. Die Kälte bohrt sich mit eisigen Fingern tief in mich hinein und breitet sich in Wellen aus, bis das Zimmer, das Haus und alles, was draußen ist, lautlos erstarrt und in eine unendliche Ferne zurückweicht. In diesem
sich

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