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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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mir, mich von Obligationen zu befreien, die ich allein nicht tragen kann. Aber es ist auch unser Leben, und es ist unser Versprechen, füreinander zu sorgen, das wir einander gegeben und bis zuletzt gehalten haben.
    Es wird eine Zeit kommen, hatte ich manchmal im Streit gesagt, wenn du krank sein und außer mir niemanden mehr haben wirst. Ich werde es sein, die dich dann betreuen, füttern und im Rollstuhl herumschieben wird, und niemand sonst. Wie wagst du es, mir mit Siechtum zu drohen, hatte er ausgerufen. Aber es war keine Drohung gewesen, denn nicht seine Krankheit war es, die ich mir vorgestellt hatte, sondern daß ich da sein würde, wenn er mich brauchte, und auch die geheime Hoffnung schwang mit, daß er mir dann auf eine unentrinnbare Weise gehören würde. Im letzten Winter hatte er eine langwierige Lungenentzündung, wir kamen ein paar Wochen
lang nur aus dem Haus, um zum Arzt zu fahren, und tagelang rief niemand an, das Leben draußen ging ohne uns weiter, und es war uns recht. Ich wußte, daß er jeden Tag bis zum Mittag brauchte, um aus seiner gedrückten Stimmung aufzutauchen und daß er mit sich und seiner Krankheit ungeduldig war, und nahm es ihm nicht übel. Einmal war er ins Arbeitszimmer gekommen, während ich schief. Im Schlaf sahst du so jung aus, sagte er später, deine Haare waren über das Kissen gebreitet wie früher in unserer ersten Zeit, und ich dachte, ich bin dir viel schuldig geblieben, du hättest ein besseres Leben verdient.
    Jetzt hege ich diese Erinnerung wie eine späte Abbitte, sie reicht aus, mich zu versöhnen.
    Falls noch Forderungen kommen, sagt Harold, schick die Rechnungen an mich, die Ausstände werden aus der Hinterlassenschaft bezahlt, und ich danke ihm, obwohl ich weiß, daß es ihm Genugtuung bereitet, mich aus Jeromes Leben hinauszudrängen, wenn auch erst nach seinem Tod. Ich spüre seine zornige Abwehr, eine gewalttätige Rücksichtslosigkeit, die ihn vor Anspannung vibrieren läßt, als gäbe er mir die Schuld an Jeromes Tod, als hätte er mich in dem schrecklichen Verdacht, ich hätte Jerome dadurch umgebracht, daß ich ihn nicht losgelassen habe. Es ist der gleiche Zorn, den ich gegen die Menschen hege, die sich in unserem Haus breitmachen und uns weder trösten noch mit uns trauern. Vielleicht ist es einfach nur das sich Aufbäumen gegen die Gewalt des Todes, die uns alle überwältigt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Wir leben seit einer Woche in einem Ausnahmezustand, der nicht endet, wir stehen alle unter Schock und halten uns an unserer Trauer fest, verteidigen eifersüchtig ihre Einzigartigkeit, die mit der Trauer der andern nicht vereinbar ist und sich aus unserer unvergleichlichen Beziehung zu Jerome herleitet.
Insgeheim ruft ihn wohl jeder zum Zeugen für die Richtigkeit seiner Trauer an, jeder will ihn auf seine Seite ziehen und mißgönnt den anderen ihre Nähe zu ihm, aber wir sind viel zu verstört, um die Absurdität unserer Eifersucht und Wut zu erkennen. Es gibt keinen größeren Angriff auf das Leben als den Tod, und jeder Angriff ruft Wut hervor, wir schlagen blind zurück und treffen, was am nächsten steht. Jeder von uns gleicht weniger sich selber als einem bedrohten Tier, dem man Schmerz zufügt. Es ist, nach dem Totstellreflex der ersten Stunden, die nächste Stufe auf dem Weg in die Verliese des Todes.
    Nachdem ich alle Bindungen zur gemeinsamen Vergangenheit mit der Küchenschere zerschnitten habe, bin ich frei, vogelfrei, in einem auf einmal wieder fremden Land.
    Ilana sagt, sie will das Haus nicht, sie werde nie in einer Suburb wohnen, sie habe Dedham seit ihrer Schulzeit gehaßt. Nach zwei Jahren in dem abgelegenen College in den Berkshires war sie nach New York gezogen, um an der NYU weiterzustudieren, was einen Abstieg bedeutete, aber sie hielt es auf dem Land nicht aus.
    Willst du das Haus haben? fragt sie mich. Aber was soll ich mit einem Haus in Amerika, einem leeren Haus, in dem alles darauf hinweist, daß der einzige Mensch, für den es sich lohnte, in dieser öden Vorstadt zu leben, nicht mehr da ist. Jerome war in den Suburbs aufgewachsen, sie hatten von Kindheit an seinen Lebensrhythmus bestimmt, in den er zurückkehrte, sobald er eine Familie gegründet hatte, und ich war damals zu unerfahren und zu neu im Land, um Einspruch zu erheben. Aber auch ich habe die Vorstädte dreißig Jahre lang verabscheut und sie wie etwas Unabänderliches ertragen. Und seit ich allein hier bin, wird mir die Häßlichkeit
vollends

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