Wenn du wiederkommst
ziehen.
Es ist der erste Schabbat Abend in diesem Haus ohne Jerome, und ohne daß wir darüber reden, kommt es uns vor, als zelebrierten wir jedes Ritual nur für ihn. Ilana zündet die Kerzen an und steht danach lange schweigend davor, die Augen mit den Händen bedeckt. Jerome hatte immer darauf bestanden, anwesend zu sein, wenn sie oder ich das Licht benschte, so hatte man es bei ihm zu Hause genannt. Wir denken beim Segnen der Schabbatbrote daran, daß die Challah bei Cheryl Ann’s der letzte Einkauf seines Lebens war. Das Einschenken des Weins war seine Zeremonie gewesen, er hatte eine geradezu sakrale Beziehung zu Wein und verbrachte an Wochenenden ganze Nachmittage in Weinhandlungen, stöberte nach Raritäten, alten Jahrgängen, unterhielt sich mit dem Besitzer über die Haltbarkeit der Weine aus verschiedenen Regionen. Wir trinken einen Burgunder aus Jeromes Weinkeller, den er mit so großer Sorgfalt über die Jahre mit den besten Jahrgängen
gefüllt hatte. Es ist der Wein, den ich am liebsten trank, in der letzten Zeit kaufte er nur noch Burgunder und Bordeaux Weine, nur für dich, sagte er dann jedesmal, weil es mich glücklich macht zu sehen, wie du sie genießt. Es war unser Zusammensein, das ich genoß, unsere Abende, an denen uns das Zeitgefühl abhanden kam und zu denen ein Glas Wein gehörte. Trotzdem hat er seinen Weinkeller nicht mir, sondern seinem Bruder vermacht, der Rotwein verabscheut und am liebsten Gin Tonic trinkt, so wenig wußte er über ihn. Suzanne hat marokkanischen Fischeintopf und Couscous mitgebracht. Das hätte Dad geschmeckt, er mochte die mediterrane Küche, sagt Ilana. Alles, was wir an diesem Abend tun und worüber wir uns unterhalten, bezieht ihn mit ein, als säße er mit uns am Tisch.
Gleichgültig, wie hektisch früher die Woche gewesen war, für den Freitag abend nahmen wir uns Zeit. Wir trafen uns am Nachmittag im Supermarkt und feilschten jedesmal um das Gewicht des Vogels miteinander, und ob wir ein Huhn oder eine Ente kaufen sollten. Huhn mit Semmelfülle war seit Ilanas Kindheit zum einzig möglichen Schabbatgericht geworden. Inmitten aller Improvisationen, unserer Trennungen und meiner Abwesenheiten brauchten wir ein paar feste Rituale, und dazu gehörte Schabbat Dinner. An diesen Abenden zählte nur die Gegenwart, weder Zukunft noch Vergangenheit durften uns die Stimmung trüben, und wir haben uns immer an diese unausgesprochene Abmachung gehalten. Der Tisch mit den Kerzen, dem Wein, der Challah und dem Huhn war die Insel der Beständigkeit in unserem Leben, und wenn ich das Wochenende anderswo verbringen mußte, sehnte ich mich danach, egal wo ich gerade war. Jedesmal, wenn wir gegessen hatten und bis in die Nacht vor dem halb leergeräumten Tisch
saßen und redeten, während die Kerzen niederbrannten, war ich ganz von dem Behagen erfüllt, hier und nirgendwo anders zu sein. In solchen Momenten wußte ich, daß ich vollkommen zufrieden war. Ich hätte dieses Glück gern wie eine verderbliche Speise konserviert, für später, wenn wir einander nicht mehr hätten. Aber ich dachte dabei nie an den Tod, nur an eine so endgültige Trennung, daß es uns danach nicht mehr möglich sein würde, einander vertraut zu begegnen. Auch deshalb hoffte ich, daß Jerome etwas Ähnliches empfand, aber ich habe ihn nie gefragt, aus Angst, er könnte nicht begreifen, wieviel mir dieses kurze Innehalten der Zeit bedeutete und wie schrecklich sein Verlust für mich wäre.
Als ihr uns das erstemal zum Schabbat Dinner eingeladen habt, erinnert sich Suzanne, fragte Jerome mich, ob wir lieber das weiße als das dunkle Fleisch vom Huhn aßen.
Er ißt gern den Bürzel und eine Keule, sagt Ilana, er und ich essen nur dunkles Fleisch, deshalb war es schwierig, Leute einzuladen, ein Huhn hat nur zwei Beine. Wenn es um gutes Essen und Trinken geht, ist Dad kompromißlos. Sie spricht noch immer in der Gegenwartsform von ihm, so wie ich seit seinem Tod nicht in der dritten Person an ihn denken kann. Nie ist er Gegenstand meiner Gedanken, sondern immer ein Gegenüber, mit dem ich rede, alles, jeder Augenblick ist auf dieses abwesende Du hin gespannt.
Eigenartig, sagt Suzanne, er lebte gern im Augenblick, wenn der ihm behagte, aber eigentlich war er ein Romantiker, sein großes Thema war die Sehnsucht nach etwas so Vollkommenem, wie es in Wirklichkeit nicht existiert. Dabei war er selber alles eher als vollkommen.
Wart ihr beide jemals mehr als Freunde? frage ich.
Er war doch bereits vergeben,
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