Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
Vom Netzwerk:
bin so begierig auf Geschichten über ihn, als könnte es in absehbarer Zeit zu spät sein, etwas zu erfahren, was ihn mir erklärt. Als sammelte ich Gerüchte über einen Unbekannten, die von allergrößter Bedeutung für mich sind. Alle Erinnerungen an ihn sind auf einmal kostbar, und meine Furcht, sie könnten verlorengehen, wächst manchmal zur Panik vor einem unvorstellbaren Verlust. Als seien auch die Erinnerungen Gegenstände, die in Müllsäcke gestopft und zur Vernichtung abtransportiert werden könnten.
    Wir reden von Herb, den Suzanne als verschlossen und herrisch beschreibt. Hast du gewußt, daß er beim CIA war? fragt sie.
    Jerome hat es nicht einmal in Andeutungen erwähnt, erwidere ich erstaunt.
    In der Freundschaft zwischen Jerome und Herb herrschte ein eindeutiges Machtgefälle, erinnert sich Suzanne. Herb
erklärte Jerome die Situation, denn er war das Genie, und er bestimmte, wie vorzugehen sei und was Jerome zu tun hatte, denn Jerome war der Clown, der sich alles traute und aus allem heil herauskam. Wenn er als Sieger zu Herb zurückkam, wurde er gelobt, das machte ihn glücklich. Ich habe nie verstanden, sagt Suzanne, was Jerome von dieser Freundschaft hatte.
    Und warum hat Herb sich nach den vielen Jahren ohne vorangegangenen Streit und ohne Erklärung zurückgezogen? frage ich.
    Er ist ein bißchen wie sein Bruder Harold, sagt Suzanne, er verhandelt nicht, er bestimmt und urteilt, und bleibt bei seiner Überzeugung, nach dem Motto my way or the highway.
    Bei Jerome folgte auf jedes letzte Wort ein weiteres. Auf rechthaberisches Beharren antwortete er manchmal ironisch mit einem Zitat aus Dickens: What is it now he asked without listening.
    Wir vergleichen seine Zitate und Lieblingssätze: Es gibt ihn nicht, den Schuft, aus Warten auf Godot, damit brachte er seine ambivalente Haltung zur Religion zum Ausdruck.
    Ilana zitiert aus einem Gedicht, dessen Verfasser sie vergessen hat: It gives me shap and shootingpains to listen to such drool, so I lifted up my little foot and squashed the goddamn fool. Aber wir brauchten nur die erste Zeile sagen, wenn uns jemandes Geschwätz unerträglich wurde, oft reichten die ersten paar Wörter, und wir brachen in Gelächter aus.
    Wo wärst du ohne mich, sagte er oft, erinnert sich Suzanne, wenn man ihm für Rat oder Hilfe dankte. Und we are up shit’s creek, wenn eine Situation hoffnungslos verfahren war.
    Er hatte überhaupt einen Hang zu Kraftausdrücken. Manchmal gab es deswegen Ärger mit Klientinnen, die ihm vorwarfen,
sexistisch zu sein. Hat Vater wieder ein F-Wort verwendet, fragte Ilana, wenn sie davon erfuhr.
    Wir stimmen überein, daß er sich von Gefühlen leiten und oft irreführen ließ.
    Er war so sentimental, so leicht zu rühren. Erinnerst du dich, wenn er sich im Kino verstohlen geschneuzt hat, fragt Ilana.
    Wenn er ihr Gepäck für eine Reise ins Auto lud, sang er mit seiner unmusikalischen Stimme, die keine Melodie halten konnte: What will I do when you are far away, and I am blue, what will I do? Und ungezählte Male erklärte er mir in einer Mischung aus Scherz und Ernst: Darling, we are like one. All die Jahre, und allem, was unser Leben vergiftete, zum Trotz, bis zur letzten Umarmung am Flughafen wiederholte er als Begründung und gleichzeitig oft als absurden Widerspruch zur Situation: weil wir zusammen gehören. Lauter Sätze, die gemeinsame Erinnerungen aus dem Vergessen holen und ihnen einen fast lächerlich unangemessenen Glanz verleihen. Es scheint mir, als hätte ich unsere gemeinsamen Erfahrungen immer schon durch seinen Blick gefiltert erlebt, als fürchtete ich, die Erinnerungen könnten ihre Leuchtkraft verlieren, so wie nach Sonnenuntergang die Farben aus den Dingen weichen und als graue Umrisse in der Dunkelheit versinken.
    Wir reden von seiner Lebensfreude, seiner Freude an gutem Essen, an der Musik, seiner Leidenschaft für das Theater, seinem fast naiven Interesse an allen Menschen und seinem Glück, wenn er sie unterhalten und begeistern konnte, wenn sie lachten und ihm applaudierten. Dazu gehörte wohl auch sein Ergötzen an der Vielfalt weiblicher Schönheit. Aber sein unstillbarer Appetit auf alles, was das Leben zu bieten hatte, war nur die eine Seite seiner widersprüchlichen Natur, denn dicht daneben lag immer ein Hang zur Selbstzerstörung, der
auf Verluste keine Rücksicht nahm, und eine Trauer, als käme alles Licht aus einer unerreichbar fernen Quelle.
    Eins seiner Lieblingswörter war Sprezzatura, die

Weitere Kostenlose Bücher