Wenn du wiederkommst
sagt Suzanne erstaunt, das
war mir immer klar, ob du da warst oder nicht, ihr wart ein Paar, man brauchte euch nur zusammen beobachten, wie ihr euch verständigt habt. Ihr wart im Einvernehmen, über ganze Gesellschaften und Räume hinweg wart ihr in Verbindung miteinander wie ein händchenhaltendes Paar.
Seit er tot ist, kann ich nicht aufhören, mich zu fragen, ob er mich geliebt hat, sage ich so leichthin, wie es mir möglich ist.
In dreißig Jahren habe ich ihm diese Frage nie gestellt. Ja oder Nein waren für mich leichtfertig hingesagte Wörter, sie dienten einem kurzfristigen Zweck und waren nie endgültig. Wenn man im Sturm und Drang der ersten Verliebtheit sagt, ich liebe dich, bedeutet es etwas anderes als nach einem Jahr, wenn man bereits die Vergänglichkeit dieser Liebe ahnt und durch Beteuerungen dagegen aufbegehrt. Aber wenn man es nach dreißig Jahren sagt, kann man es nicht mehr zurücknehmen, und weder Untreue noch Tod können es ungültig machen. Ich hielt es nie für nötig, eine feierliche Antwort auf etwas zu bekommen, das man nur an den kleinen Gesten eher wie nebenher erfahren kann, I love you, wie viele hunderttausend Male hat er es gesagt, immer wieder, im Lauf von fast vierzig Jahren? Einmal, mitten in einem Streit, als wir beide aufeinander einschrien, fragte er plötzlich, liebst du mich, und ich schrie ohne zu zögern, ja. Dann sahen wir einander erstaunt an und lachten. Es war ein glücklicher Augenblick, obwohl wir gleich danach weiterstritten. Ich wünschte, ich hätte ihn vor zwei Wochen, als wir im Public Garden saßen, gefragt, ob er mich liebe. Obwohl ich sicher bin, daß er Ja gesagt hätte. Aber dann hätte ich es gehört und könnte mich daran festhalten. Die größte Pein verursacht mir das Versäumte, das Unterlassene, daß wir viel zu wenig zusammen unternommen haben und an so vielen Orten, nach denen wir uns sehnten,
nicht gewesen sind, daß wir einander vieles nicht verziehen, noch nicht einmal um Vergebung gebeten haben, und daß ich beim letzten Abschied am Flughafen nicht sagte, ich liebe dich, weil ich noch nicht begriffen hatte, wie sehr ich ihn liebte, und nicht sicher war, ob er meine Liebe erwiderte.
Man müßte sich mit den Augen des anderen sehen können, meint Suzanne, nur einen Augenblick lang, dann müßte man nicht fragen.
Suzanne lebt allein mit ihrer behinderten Tochter, die sich als Teenager ihrem Vater mit ihrem Nachnamen vorgestellt und gefragt hatte, wie er hieße, als sie ihn das erstemal nach zehn Jahren wiedersah und nicht erkannte. Jetzt schickt er uns einmal im Jahr eine Karte, eine Weihnachtskarte, berichtet Suzanne, er hat offenbar vergessen, daß seine Kinder Juden sind. Rachel sagt im gleichen Tonfall yes, please und no thank you, sie will wissen, wo man arbeitet, wie man heißt und wann man Geburtstag hat, dann verfällt sie in Schweigen, bis sie nach Stunden dieselben Fragen von neuem stellt. Zum Glück vermißt sie ihren Vater nicht, sagt Suzanne trocken.
Was ihr beide hattet, war trotz allem eine große Liebe, sagt sie mit einem kaum hörbaren sehnsüchtigen Unterton, du und Ilana, ihr wart der Mittelpunkt seiner Welt.
Es hat sich selten so angefühlt, erwidere ich ohne Schärfe.
Sie und Jerome waren in den letzten beiden Highschool Jahren in Parallelklassen gegangen, danach hatten sie einander aus den Augen verloren.
Jerome war der Possenreißer unseres Jahrgangs, erinnert sie sich, ich mochte ihn, er war hinreißend, wenn er Lehrer nachahmte, er bahnte sich seinen lauten, fröhlichen Weg durch den Alltag, der für uns andere mit allen möglichen Ängsten befrachtet war. Er war ein großer Redner, der Gewalt wich er
dagegen lieber aus, nur wenn etwas seinen Gerechtigkeitssinn verletzte, konnte er streitbar werden. Und er verhandelte um alles, um Noten, Prüfungstermine, um jede Kleinigkeit, so hartnäckig, daß er fast immer gewann. Auch wenn wir selten miteinander redeten, es war klar, daß wir jüdischen Jugendlichen zusammenhalten mußten, und er war schon damals unser Anwalt.
Als sie fünfundzwanzig Jahre später eine Klage gegen den Bundesstaat Massachusetts einbrachte, weil ihrer Tochter die Behindertenunterstützung gestrichen worden war, suchte sie nach Jerome im Verzeichnis für Anwälte, so sicher war sie, daß er nur diesen Beruf hatte ergreifen können.
Und sein Schauspieltalent? frage ich.
Das hatte er ganz gewiß, er spielte auch in allen Schulauf führungen mit, aber sich selber konnte er am besten spielen.
Ich
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