Wenn du wiederkommst
manchmal wie abwesend. Inmitten der Fülle an Verrichtungen, Gedanken und Gesprächen gähnte für ihn ein Mangel, der ihn abweisend und aggressiv machte. Er wollte mit seinen Sehnsüchten allein sein, deshalb mußte er immer drei Schritte hinter mir gehen. Eine Unrast begann in ihm zu gären, die sich auf mich übertrug, unbemerkt zuerst und schließlich nicht mehr zu unterdrücken, wir standen einander nur mehr im Weg, unsere Ziele schlossen sich gegenseitig aus. Wir waren einander zu ähnlich, das stieß uns in solchen Zeiten des Aufbruchs ab, wir waren beide unfähig, im Augenblick zu leben, sogar über den schönsten Momenten lag ein Schleier von Melancholie, von unerfüllter Sehnsucht und sei es nur die nach Dauer, selbst der vollkommenste Tag war bloß eine Kompensation. Aber die Vertrautheit trieb uns nach jedem Abenteuer wieder zueinander zurück, so wie man
zu alten Gewohnheiten und Lastern zurückkehrt, und wie man sich zu Hause seiner selbst vergewissern muß, von Zeit zu Zeit. Unsere Ehe glich einem dieser Kippbilder, die man auf Postkartenständern findet, wild, haßerfüllt mitunter, aber unter einem leicht veränderten Neigungswinkel unvermittelt voll Eintracht und Zärtlichkeit. Erst als wir spürten, daß die Zeit knapp wurde, kamen wir mit der Absicht zu bleiben wieder aufeinander zu.
Es ist mir gleichgültig, wie nah er den Frauen auf den Fotos stand, ich will nicht darüber nachdenken, ich will die einzelnen Gesichter nicht identifizieren, sie können mich nicht mehr kränken. Indem ich sie vernichte, tilge ich sie aus meinem Leben und gebe sie ein wenig mehr dem Tod durch Vergessen preis. Ich finde keine Überraschungen, kein Foto, das er mir absichtlich verheimlicht hätte, sie lagen immer herum, er war immer bereit, darüber zu berichten, er fragte sogar um Rat. Manchmal, in den Jahren, in denen wir uns selten sahen, rief er mich an, wütend oder fassungslos: Sie ist nicht zu ertragen, sie ist verrückt geworden, stellt mir das Haus mit Topfpflanzen voll, hängt sie am Plafond auf, kettet sie an Regale, überall, wo sie einen Halt für einen Übertopf finden kann, damit ich sie mit meinen Tränen gieße, wenn sie mich verläßt, ich habe ihr versichert, ich werde ihnen keinen Tropfen Wasser geben, jetzt hat sie mich verlassen. Ich tröstete ihn und konnte die Schadenfreude nicht unterdrücken. Bei meinem nächsten Besuch hatte sich auf der ausgetrockneten Erde eine Schicht Staub gesammelt und in den Untersätzen lagen lose Vierteldollarmünzen und Centstücke. So habe ich die meisten, deren Fotos ich in den Müllsack werfe, schon früher kennengelernt, ich fragte mich, was sie verband, was ihn anzog, aber wenn wir zu dritt bei Tisch saßen, traten die Verhältnisse klar zutage.
Wir beide waren das aufeinander eingespielte Paar, das sich mit einem Blick, mit einem halben Lächeln, einem sekundenlangen Zögern verständigte, und die andere war die Geliebte. Das Einverständnis zwischen uns war wortlos, eine unvermeidliche Verbindung wie die Pole zweier Magneten, die aufeinander zustreben, selbst im Streit, sogar im Haß. Nur die anderen nahmen es wahr, uns blieb es verborgen, wir sahen in solchen Zeiten nur, was uns trennte und verletzte, wir sahen die sadistische Genugtuung in den Augen des anderen und die mörderische Eifersucht. Gerade deshalb konnten wir einander quälen.
Denk an Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre, sagte er.
Ja, aber die haben keine Kinder, du bist nicht Sartre, und ich schlafe nicht mit deinen Freundinnen, entgegnete ich.
Die Fotos, die am Ende übrigbleiben, sind ein kleiner Rest: Kindheit, Familie, eine Familie, die es nicht mehr gibt, die es für den größten Teil seines Lebens nicht mehr gab, Schulzeit, Studium und Beruf, einige Höhepunkte, Feste, Gruppenfotos mit strahlenden Gesichtern, die seine frühen Triumphe teilten, Lehrer, Kollegen, Vorgesetzte, Menschen, die ihn bewunderten und schätzten. Es ist seine Lebensgeschichte, die mir nicht gehört, die ich nur ordnen und für seine Tochter aufbewahren kann. Von niemandem gibt es so viele Fotos wie von Ilana, immer wieder Ilana, vom ersten Lebenstag an, unser Kind, unser wertvollster Besitz. Wir bewiesen einander unsere Liebe zueinander, indem wir sie durch die Liebe zu unserer Tochter filterten. Wir wetteiferten in Liebesbeweisen, indem wir demonstrierten, daß wir gute Eltern waren, als müßten wir das Mißtrauen des anderen zerstreuen. Ob wir einander noch liebten, kam nicht mehr zur Sprache, und wir
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