Wenn du wiederkommst
wollten nicht danach fragen, die Antwort hätte eine Notlüge sein können.
Dafür liebten wir unser Kind und damit auch den Teil an ihr, in dem wir uns selber nicht erkannten. Ich liebte ihre tiefliegenden graugrünen Augen, ihre dunklen Locken und ihren festen kleinen Körper ebensosehr wie die Gesichtsform, die Wangengrübchen und die Form der Lippen, die sie von mir hat, und ich erkannte Jeromes Anlagen an ihr, Stärken und Schwächen, die zu Charaktereigenschaften werden würden. Ich betrachte auf den Fotos die demonstrative Zärtlichkeit, mit der Jerome sich zu ihr hinunterbeugt und sie mit den Armen umfängt, während die vierjährige Ilana von ihm wegstrebt, weil sie sich aufgehalten und mitten im Lauf gebremst fühlt. In jenen Jahren sind wir immer zu dritt, Ilana und ein Elternteil, ganz auf das Kind konzentriert, der andere unsichtbar hinter der Kamera. Wer hätte uns als vollständige Familie auch fotografieren sollen? Ich lege eine eigene Schachtel für sie an: die Stationen des ersten Mals, sitzen, umdrehen, aufstehen, gehen, Ilana im Babybuggy, Ilana auf einem Schlitten, schreiend vor Angst und Vergnügen, hoch auf dem Hügel des Boston Common, Ilana im Badehöschen am Strand, jeden Sommer von neuem, während das Kind langsam ein Mädchen wird und eine junge Frau, die weiß, wie anziehend sie ist. Beim Anblick dieser Fotos bilde ich mir ein, das Meer zu riechen und die kühle, salzige Brise auf der Haut zu spüren, die angenehme Müdigkeit und Ruhe am Abend, wenn wir vom Strand zurückkamen, uns auf der Veranda einer Imbißbude niederließen und Jerome uns frittierte Meeresfrüchte auf dünnen Papptellern von der Selbstbedienungstheke brachte. Das Meer unserer Sommerferien ist in meiner Erinnerung spiegelglatt und von einem zarten metallischen Blau.
Aber wie unglücklich die junge Frau aussieht, die dem Kind die Arme entgegenstreckt, es hochhebt und herumträgt, wie
schlecht sie angezogen ist. Könnte es sein, daß meine Erinnerung trügt und ich gar nicht glücklich war? Ich erkenne das Gesicht auf den verblaßten, von Feuchtigkeit und Alter gewellten Fotos kaum mehr als das meine, die herausfordernde Kopfhaltung, das dunkle Haar, das in unregelmäßigen Fransen auf Schultern oder Rücken fällt, den entschlossen zusammengekniffenen Mund, der nicht zu dem manchmal beleidigten, manchmal verzagten Blick paßt, ein Gesicht voller Widersprüche, das den Betrachter dazu einlädt, den Eigensinn zu überwinden, die Frau aufzufordern, den Augenblick zu genießen, weil er nie wiederkäme. Auf einem Foto drückt Jerome mich an sich und nähert sein Gesicht dem meinen, als wolle er mich küssen, aber ich habe offenbar die demonstrative Umarmung nicht erwartet, ich lache, aber mein Körper widerstrebt. Ich liebte ihn an meisten, wenn wir getrennt waren, wenn ich durch eine fremde Stadt ging und durch kein Telefon zu erreichen war.
Wie verblendet mir auf einmal mein Beharren erscheint, ich sei der wichtigste Mensch für ihn gewesen angesichts dieser Müllsäcke voller Frauen, deren Körpersprache kein Widerstreben zeigt.
Eines mußt du wissen, jetzt gleich, damit du nachher nicht sagst, ich hätte es dir verschwiegen: Ich habe es bisher nie geschafft, treu zu sein.
Das hatte er am Anfang gesagt. Wir saßen einander in einem Restaurant gegenüber, das Essen war gut, wir tranken Wein und hatten vor einer Stunde miteinander geschlafen, er sagte es fast im selben Atemzug, in dem er wiederholte, daß er mich liebe.
Ist es nur Sex, hatte ich gefragt, oder verliebst du dich dann auch?
Kann man das trennen? wollte er wissen.
Mit einem Schlag war die festliche Stimmung weggewischt, aber ich hatte gehofft, es sei nur ein Versuch, die beängstigende Intensität, die unsere Liebe angenommen hatte, auf Abstand zu halten. Ich weiß nicht, ob es auch an diesem Abend war, als er behauptete, er höre nie auf, sich einer Frau, mit der er geschlafen hatte, verbunden zu fühlen. Ich bin da sehr loyal, hatte er verschmitzt gesagt, ich stelle mir manchmal vor, wie sie alle einmal an meinem Grab stehen und weinen und einander trösten. Alle ihre Geschichten über mich ergäben dann den Roman meines Lebens. Du bist ein Idiot, der keine Ahnung von Frauen hat, war meine Antwort darauf gewesen, vielleicht erst später, die schlagfertigen Antworten fielen mir immer erst später ein. Vermutlich habe ich damals verletzt geschwiegen, und er redete nicht mehr darüber, bis ich es als Angeberei wegschob und vergaß. Jetzt tauchen mit den
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