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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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bereit gewesen wäre, nur geriet Moskau bald in Vergessenheit, weil Jankele aus Israel auftauchte und ihn überredete, die Möglichkeit der Gründung eines College für angehende Zahnärzte zu erkunden, die in ihrem Land keine Zulassung zum Hochschulstudium bekamen. Dieses Projekt scheiterte an den Behörden. In einem dunklen Winkel seines Kleiderschranks fand ich Hunderte Visitenkarten auf Japanisch, und mir fiel das Joint Venture mit einem japanischen Geschäftsmann wieder ein, der ihn zu irgend etwas überredet hatte, das, wie viele andere Projekte, im Sand verlaufen war. Jerome jedoch blieb davon überzeugt, daß er für die einzigartige Berufung bereit sein müsse, die nur er erfüllen konnte. Er stellte sich sein Leben als einen großen Auftritt vor, auch wenn er nicht genau wußte, was er für sich und die Menschheit erreichen sollte, er würde es jedoch erkennen, wenn der Ruf erging. Der Vorhang würde sich heben, und er würde im Rampenlicht der Weltbühne stehen.
    Zwei oder drei Jahre lang bereiste er die Bundesstaaten nördlich von New York als Handelsvertreter für einen ehemaligen Schulfreund, der feuerfeste Arbeitswesten herstellte. Dafür bin ich gemacht, berichtete er begeistert: herumfahren, Händler überreden, mich mit ihnen unterhalten und ihre Lebensgeschichten sammeln. In seinem vom Englischen korrumpierten Jiddisch nannte er die Art von Fachsimpelei, die er so gut beherrschte, to dingsyke. Jeden Tag neue Gesichter, schnell geknüpfte Freundschaften, ein ganzes Netzwerk von Kunden aufbauen, die ihm vertrauten, neue Restaurants entdecken und Weinhandlungen voller ausgezeichneter Weine, die in der Provinz jahrelang auf einen Käufer warteten - all
das versetzte ihn in eine geschäftige Euphorie. In ganz New Hampshire, Maine und Massachusetts machte er sich beliebt, unterhielt gelangweilte Geschäftsleute, ließ seine Visitenkarte zurück und vergaß, daß er von seinem Freund Larry nur eine geringfügige Provision bekam, die den Einkommensausfall nie und nimmer deckte. Aber er amüsierte sich als reisender Komödiant, und manchmal nahm er mich auf seinen Vertreterreisen mit. Wir parkten in der Geschäftsgegend einer Kleinstadt, betraten einen Army and Navy-Store, eine korpulente Frau stützte die Ellbogen auf den Verkaufstresen und schaute uns erwartungsvoll entgegen. Jerome verkündete seinen Namen, als mache er ihr ein Geschenk. Mazel tov, sagte sie, und was wollen Sie? Wir verbrachten die nächsten zweieinhalb Stunden in ihrem dämmrigen Laden, ohne daß ein Kunde uns gestört hätte, erfuhren die übliche jüdische Familiengeschichte ihrer in den zwanziger Jahren aus Rußland eingewanderten Vorfahren, ihres eigenen Rückzugs von New York nach Boston und von Boston in diese gottverlassene Kleinstadt in New Hampshire, hörten, daß ihr Mann auf und davon sei, aber daß ihre heranwachsenden Kinder ihr viel Freude machten und Großes vorhatten, tranken ihren Kaffee und aßen Hamantaschen, denn es war März und Purim gerade erst vorbei. Wir verabschiedeten uns mit warmem Händedruck, den Jerome stets mit beiden Händen bekräftigte, es fehlte wenig für eine Umarmung, und versprachen, sie bald wieder zu besuchen. Es ist sehr einsam hier, sagte sie am Ende und sah aus wie ein Kind, das allein auf dem leeren Bahnhof zurückgelassen wird, Jerome traten Tränen in die Augen.
    War das nicht großartig, fragte er im Auto, so könnte ich leben, ohne daß mir je dabei langweilig würde.
    Anschließend gingen wir in einen der selten gewordenen
Diner zum Mittagessen, verzehrten aus der Mode gekommene hash fries, redeten über die bedauernswerte New Yorkerin, die es in dieses Kaff verschlagen hatte, überlegten, wie man ihr helfen könnte, wir redeten und lachten über die grotesken Tragödien des Lebens, während wir an diesem sonnigen Vorfrühlingstag noch viele Meilen durch die hügelige Landschaft von New Hampshire und Westmassachusetts fuhren. Es war immer ein wenig, als seien wir in diesem fahrbaren Kasten aus Blech und Glas auf der Flucht vor der Welt, die uns nichts anhaben konnte, solange wir in Bewegung blieben, es war eine Art von Glück. Sein widerstandskräftiger, kompakter Körper und sein unerschütterliches Vertrauen, daß es für jede Unbill eine Lösung und aus jeder Sackgasse einen Ausweg gäbe, schützten mich vor meiner Lebensangst.
    Aber an den gleichförmigen Tagen, an denen nichts geschah, als daß sie sich ununterscheidbar zu einem Durchschnittsleben aneinanderreihten, war Jerome

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