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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Schreiten des Rappens an, als ob sie verstanden hätte.
     
    Auch die Erzählung gleicht ihren Schritt dem Schreiten der eisenbeschlagenen Hufe an, hinauf über steile Pfade zu einem Ort, der das Geheimnis der Vergangenheit und der Zukunft enthält, der die Zeit enthält, eingedreht in sich selbst wie ein Lasso am Sattelknauf. Schon weiß ich, daß der lange Weg, der mich nach Oquedal führt, kürzer sein wird als der Weg, den ich noch gehen muß, wenn ich dieses Dorf erreicht haben werde, das letzte Dorf am Rande der bewohnten Welt und an den Grenzen der Zeit meines Lebens.
    »Ich bin Nacho, der Sohn des Don Anastasio Zamora«, sage ich zu dem alten Indio, der an der Kirchenmauer hockt. »Wo ist das Haus?«
    Vielleicht weiß er es, denke ich.
    Der Alte hebt seine Lider, Lider rot und verquollen wie die eines Truthahns. Ein Finger, dürr wie Reisig zum Feueranzünden, kommt unter dem Poncho hervor und deutet auf die Villa der Alvarados, die einzige Villa in diesem Haufen gestampften Lehms, der sich Oquedal nennt: eine Barockfassade, die aussieht, als wäre sie aus Versehen hierhergeraten, wie eine verlassene Bühnenkulisse. Irgend jemand muß vor Jahrhunderten einmal geglaubt haben, dies sei das Land Eldorado, und kaum hatte er seinen Irrtum bemerkt, begann für den eben errichteten Prachtbau das langsame Schicksal der Ruinen.
    Den Schritten eines Stallburschen folgend, der mein Pferd am Zügel genommen hat, gehe ich durch eine Flucht von Höfen, die mich immer tiefer hineinführen sollten, aber ich finde mich immer mehr draußen, ich schreite von einem Hof in den nächsten, als dienten hier alle Türen nur zum Hinausgehen, nie zum Eintreten. Die Erzählung müßte dieses Gefühl der Fremdheit vermitteln, der Fremdheit an Orten, die ich zum erstenmal sehe, aber auch der Fremdheit an Orten, die im Gedächtnis keine Erinnerung hinterlassen haben, nur eine Leere. Bilder versuchen nun, diese Leerräume wieder zu füllen, doch sie erreichen nur, daß auch sie sich einfärben mit dem Grau jener Träume, die man im Augenblick ihres Erscheinens vergißt.
    Einem ersten Hof, in dem Teppiche hängen zum Ausklopfen (ich grabe in meinem Gedächtnis nach Erinnerungen an eine Wiege in schwellendem Luxus), folgt ein zweiter Hof voller Alfalfa-Säcke (ich grabe nach Erinnerungen an eine reiche Hacienda in frühester Kindheit) und schließlich ein dritter, auf den sich Stallungen öffnen (bin ich unter Krippen geboren?). Es müßte hellichter Tag sein, aber das Dunkel, das die Erzählung einhüllt, macht keine Anstalten, sich zu lichten, läßt keine Botschaften durchsickern, die das Bildvorstellungsvermögen zu klaren Gestalten verdichten könnte, gibt keine gesprochenen Worte wieder, nur Stimmengewirr und gedämpften Singsang.
    Erst im dritten Hof beginnen die Sinneseindrücke langsam Gestalt anzunehmen. Zuerst die Gerüche und Geschmäcke, dann erhellt der Schein einer Flamme die alterslosen Gesichter der Indios, die sich in Anacleta Higueras' geräumiger Küche versammelt haben, ihre glatte Haut, die uralt oder ganz jung sein könnte, vielleicht waren sie schon Greise, als einst mein Vater hier lebte, vielleicht sind sie Söhne seiner Altersgenossen, die nun seinen Sohn betrachten, wie einst ihre Väter ihn betrachteten, ihn, den Fremdling, der eines Morgens mit seinem Pferd und seinem Karabiner hier ankam.
     
    Vor dem Hintergrund der rußgeschwärzten und flammenden Feuerstelle erhebt sich die hohe Gestalt der Frau, in eine ocker- und rosagestreifte Decke gehüllt. Anacleta Higueras füllt mir einen Teller mit scharf gewürzten Hackfleischbällchen. »Iß, mein Sohn, du bist sechzehn Jahre gewandert, um nach Hause zurückzufinden«, sagt sie, und ich frage mich, ob die Anrede »mein Sohn« die gewöhnliche Formel ist, mit der eine ältere Frau sich an einen Jüngling wendet, oder ob sie bedeutet, was die Worte bedeuten. Und mir brennen die Lippen wegen der scharfen Gewürze, mit denen Anacleta das Fleisch abgeschmeckt hat, als sollte dieser eine Geschmack alle hochgereizten Geschmäcke enthalten, Geschmäcke, die ich weder zu unterscheiden noch zu benennen vermag und die nun auf meinem Gaumen zusammenschießen wie züngelnde Flammen. Ich gehe, Rückschau haltend in meinem Gedächtnis, alle Geschmäcke durch, die ich jemals in meinem Leben gekostet habe, um diesen vielfach getönten wiederzufinden, und gelange zu einem entgegengesetzten, aber womöglich gleichwertigen Geschmack, nämlich zu dem der Muttermilch für das

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